Francis Guillaume Foto: Schwarzwälder-Bote

Auszeichnung: Neuhengstetter bekommt für umfangreiche Forschertätigkeit die Heimatmedaille des Landes

Von Marion Selent-Witowski

Bevor Francis Guillaume 1971 nach Neuhengstett kam, hatte er noch nie etwas von den Waldensern gehört. Bis heute beschäftigt er sich derart intensiv und methodisch fundiert mit deren Geschichte, dass er dafür die Heimatmedaille bekommt.

Althengstett-Neuhengstett. Die sehr seltene Auszeichnung vergibt das Land Baden-Württemberg seit 1978 jährlich an jeweils zehn Bürger, die sich um die Heimat- und Brauchtumspflege im Land besonders verdient gemacht haben. Traditionell wird die Medaille den Preisträgern im September zur Eröffnung der Heimattage Baden-Württemberg überreicht. Diese finden diesmal in Bad Mergentheim statt.

Viele Kontakte zu anerkannten Experten

"Ich war völlig überrascht, habe mich aber sehr gefreut, als ich von der Auszeichnung erfahren habe", sagt Francis Guillaume im Gespräch mit dem Schwarzwälder Boten. Auf Vorschlag der Gemeinde wird nun dem gebürtigen Franzosen die hohe Auszeichnung zuteil. Damit es so weit kommen konnte, mussten in der Verwaltung unter anderem Referenzschreiben zu Guillaumes umfassender Tätigkeit eingeholt werden, zum Beispiel beim Kreisarchiv. Durch seine semiprofessionelle Arbeit als Geschichtsforscher hat der Wahl-Neuhengstetter sich auch bei anerkannten Waldenser-Experten in ganz Europa einen Namen gemacht. "In 40 Jahren haben mir rund 100 Forscher bei meiner Arbeit geholfen."

Diplomatisches Geschick hilft nicht immer weiter

"In Neuhengstett habe ich nie eine genaue Antwort auf Fragen nach den Waldensern bekommen. So wurde bei mir das Interesse geweckt, Nachforschungen zu deren Geschichte anzustellen", begründet der 68-Jährige seine große Leidenschaft für das exakte Aufarbeiten historischer Zusammenhänge.

Diplomatisches Geschick war ihm dabei oft weniger wichtig, als mit unbequemen Wahrheiten eine Diskussion anzustoßen. Beispielsweise zu der Frage, ob es sich bei den Waldensern um Glaubens- oder Wirtschaftsflüchtlinge gehandelt hat. Und das in einer Zeit, in der das Thema Flucht aktueller denn je ist.

Guillaume war maßgeblich an der Gestaltung des Heimatbuchs anlässlich der 300-Jahr-Feier in Neuhengstett beteiligt. Auch das jährliche Freudenfeuer am 17. Februar am Waldenserstein, der Aufbau des Waldensermuseums sowie die Schaffung des Europäischen Kulturfernwanderwegs Hugenotten- und Waldenserpfad ist eng mit dem Namen Francis Guillaume verbunden. Doch damit nicht genug. Der Hobbyforscher hat seit 2001 300 Marksteine sowie 60 Kleindenkmale gesäubert und akribisch erfasst. Dafür diente ihm eine Landkarte von 1830 als Grundlage.

Außerdem hat sich unter der Leitung des Heimatforschers eine 23-köpfige Arbeitsgruppe um die Aufarbeitung eines dunklen Kapitels der Althengstetter Geschichte gekümmert. Die Jahre im Nationalsozialismus, insbesondere die Kriegsjahre und die Nachkriegszeit, wurden behandelt. Nur so konnte es auch auch zur Einweihung des Gedenksteins für die Althengstetterin Hedwig Zipperer und den Polen Marian Tomczak kommen, die im Dritten Reich einen sehr hohen Preis für ihre Liebe bezahlten.

Der polnische Zwangsarbeiter Marian Tomczak wurde am 3. August 1942 durch ein Kommando der Gestapo Stuttgart wegen seiner Beziehung zu Hedwig Zipperer erhängt – vor den Augen seiner polnischen und französischen Mitkriegsgefangenen. Die junge Althengstetterin war von 1942 bis 1944 im Konzentrationslager Ravensbrück inhaftiert. Bei der Aufarbeitung dieser Geschehnisse ging es dem Arbeitskreis "Althengstett – Geschichtliche Aufarbeitung 1933-1945" nicht darum, wer wann welche Verantwortung getragen hat und um Schuldzuweisungen, sondern vielmehr um das Verstehen und Bewahren, damit Mitgefühl sowie Menschlichkeit gestärkt werden.

"Die Leute wissen gar nicht, wie reich an Geschichte sie sind", ist Guillaume überzeugt. An das Beenden seiner umfangreichen Forschungen denkt er noch lange nicht, auch wenn er mit seinen Erkenntnissen immer wieder aneckt. Private Forscher hätten ein großes Privileg: "Wir sind unabhängige Querdenker".