Zum neuen Bildungskonzept für die Realschulen im Land gehört eine noch bessere Förderung jedes einzelnen Kindes entsprechend seiner Begabung. In den Klassen fünf und sechs soll es eine Orientierungsstufe geben, um stärker auf die Lernniveaus der Schüler eingehen zu können; außerdem in den Klassen sieben und acht Kurse für Stärkere und Schwächere. Zum Schuljahr 2016/17 soll dieser Schultyp deshalb 500 neue Lehrerstellen erhalten. Foto: Archiv Foto: Schwarzwälder-Bote

Pläne der Landesregierung für Realschulen stoßen bei Leiterin in Althengstett auf geteiltes Echo / Von Gleichbehandlung weit entfernt

Althengstett. An der Zukunftsfähigkeit der Realschule zweifelt in Althengstett niemand: weder Leitung und Lehrerkollegium noch Schulträger und Eltern. Die Pläne der grün-roten Landesregierung zur Stärkung dieses Schultyps lösen bei der kommissarischen Leiterin Christa Wurster-Zischler jedoch Freude und Sorge aus.

Mehr Lehrer und ein neues Bildungskonzept sollen garantieren, dass Realschulen Teil eines funktionierenden Schulsystems bleiben. Kommt die Landesregierung mit ihren Plänen aus Ihrer Sicht  den Forderungen der Realschulen nach und ist darin eine echte Weiterentwicklung dieser Schulart zu sehen?

Erfreulich ist die zugesicherte Bestandsgarantie der Schulart Realschule und die zugesicherte Aufstockung der Förderstunden von bisher 2,2 auf sechs pro Zug. Das bedeutet für uns 24 Stunden für die Förderung, bisher waren dies nur 8,8. Das hat uns, mein Kollegium und mich, sehr gefreut. Wir investieren unsere gesamte Energie in diesen Schultyp, von dem wir überzeugt sind. Allerdings ist dies erst der erste Schritt auf einem langen Weg, alle Schularten gleich zu behandeln. Dabei denke ich an die Lehrerzuweisung, denn für individuelle Förderung erhält eine Gemeinschaftsschule gleicher Größe 48 Stunden, die Klassengröße, den Sachkostenbeitrag, die Schulbauförderrichtlinien und die Festlegung einer Orientierungsstufe an allen Schularten. Dieser Anspruch ist eigentlich eine Selbstverständlichkeit. Erklärungsversuche wie etwa, dass kleine Schulen mehr finanzielle Zuwendungen brauchen, sind nicht wirklich überzeugend. Vielleicht setzt sich ja in Zukunft ein Umdenken nach Schülern und nicht nach Schularten durch. Die Pläne der Landesregierung sind zum gegenwärtigen Stand nicht ausreichend und erfüllen mich und andere Schulleiterkollegen mit Sorge. So haben sich inzwischen auch Realschulleiter aus unserem Bereich dem Brief unserer südbadischen Kollegen angeschlossen. Der Schwarzwälder Bote hatte darüber berichtet.

Mit der massiven Stärkung der Realschulen soll verhindert werden, dass schwache Schüler zu Bildungsverlieren werden, wird von den Befürwortern der Pläne für diesen Schultyp argumentiert. Können Sie sich dem so anschließen?

Verwundert lese ich, dass dieses Argument sowohl bei der Gemeinschaftsschule als auch bei der Realschule angewendet wird. Die Realschulkonzeption orientiert sich, wie das Gymnasium, am Leistungsprinzip. Schulische Leistungen werden gemessen und als Noten zurückgespiegelt. Noten dienen zur Standortbestimmung, Motivation und zur Differenzierung. Die lange Erfahrung mit dem Umgang von Heterogenität hat gezeigt, dass eine äußere Differenzierung nötig ist, um begabungsgerecht zu lernen und auf unterschiedliche Abschlüsse, Hauptschulabschluss und mittlerer Bildungsabschluss, verantwortungsvoll vorzubereiten. Ein Hauptschulabschluss ist kein verkürzter mittlerer Bildungsabschluss, sondern ein eigenständiger Bildungsgang, der seine eigene Schwerpunktsetzung hat, und das ist gut so. Daher halte ich die Konzeption einer teilweisen Differenzierung, das heißt, in zwei Stunden pro Woche in den Hauptfächern für ungeeignet. Das Unterrichtsprinzip der äußeren Differenzierung als Rahmen für begabungsgerechtes Lernen hat die erfolgreichen Schullaufbahnen von Realschülern über Generationen ermöglicht und ist auch künftig unverzichtbar. Es ist gut, dass die Realschule wieder im Gespräch ist. Wünschen würde ich mir, dass nicht über uns, sondern mit uns gesprochen wird, wenn es darum geht, Konzepte zu entwickeln. Dass dies nicht geschieht, ist bedauerlich, da dadurch Fehlentwicklungen in Kauf genommen werden und die Gefahr besteht, dass die Realschule nicht mehr die Aufsteigerschule sein kann, die sie jahrzehntelang war.

An der Althengstetter Realschule gibt es mit LIFT, Lernzeit und weiteren Angeboten bereits gut funktionierende Förderangebote. Warum sollte man dieses Erfolgskonzept ändern?

Natürlich freuen wir uns sehr, dass unser Förderkonzept für alle Klassenstufen so erfolgreich ist. Was wir brauchen, ist eine verlässliche Lehrerzuweisung, damit Schulentwicklung eine konstante Größe ist und wir unsere Förderangebote für alle Schüler ausbauen können. Die Frage ist hier, ob es sich ein Wirtschaftsstandort Baden-Württemberg leisten kann, dieses Modell Realschule aufzugeben. Wir sind sowohl im Dualen System, das viele Facharbeiter hervorbringt, als auch als alternatives Modell zum bisherigen G9 eine erfolgreiche Schulart. Kooperationen mit Betrieben und Beruflichen Gymnasien, individuelle Förderung und Umgang mit Heterogenität waren und sind für die Realschullehrer bekannte Größen. Intensive Überlegungen und Modelle wurden und werden entwickelt und haben die Realschule zu dem werden lassen, was sie heute ist: eine Aufsteigerschule. Sie sehen hier, dass die Weiterentwicklung der Realschule nie eine Pause hatte, sie findet täglich an den circa 420 Realschulen mit ungefähr 240 000 Schülern in Baden-Württemberg statt. Die Richtung gibt der Bedarf vor: die Schüler, die Eltern und die Gesellschaft. Für die Eltern, deren Kinder und für uns würden wir uns wünschen, dass Bildungspolitik nicht mehr Parteipolitik ist, nicht mehr abhängig ist von vor oder nach der Wahl, sondern eine verlässliche Größe. Von der Glaubensfrage zur Sachfrage, so sollte die Diskussion um die Entwicklung der Schullandschaft sein.

An den Realschulen im Land soll es künftig möglich sein, am Ende der Klassenstufe neun einen Hauptschulabschluss machen zu können. Verändert sich damit die Beziehung zur Gemeinschaftsschule?

Diese Möglichkeit gibt es ja an beiden Schularten, nur der Weg dahin ist unterschiedlich. Wir bedauern, dass durch diese Entscheidung die Werkreal/Hauptschulen stark unter Druck geraten, denn diese Schulen haben diesen Abschluss hervorragend vorbereitet. Was die Beziehung zur Gemeinschaftsschule angeht, kann ich noch wenig sagen. Eine solche ist erst im Entstehen. Mit Spannung sehe ich der Entwicklung an der Gemeinschaftsschule entgegen, freue mich auf den Erfahrungsaustausch und die Ergebnisse der Lernstandserhebungen beider Schularten, um diese Erkenntnisse als weitere Impulse zur Weiterentwicklung unserer Realschule zu nutzen.

u Die Fragen stellte Marion Selent-Witowski