Das ehemalige Küchenstudio Gesang war beim Versteigerungstermin ein begehrtes Objekt. Foto: Kunert Foto: Schwarzwälder-Bote

Zwangsversteigerung: Termin wegen Gewerbeimmobilie nimmt dramatischen Verlauf / Letztes Gebot deutlich über Verkehrswert

"So etwas erleben wir hier nicht alle Tage." Die zuständige Rechtspflegerin des Amtsgerichts Calw ist nach einem einstündigen Bieterkrimi um das ehemalige Althengstetter Küchenstudio Gesang noch sichtlich überrascht. "Ja, da waren viele Emotionen unterwegs", bestätigt sie.

Calw/Althengstett. Eigentlich sollte die Zwangsversteigerung der exponierten Immobilie im Gewerbegebiet Im Unteren Ried im kleinen Saal 4 im Erdgeschoss des Amtsgerichts Calw ablaufen. Aber zehn Minuten vor Beginn der Versteigerung sind hier alle Sitzplätze im Publikum schon vergeben. Einige Besucher und Interessenten müssen bereits stehen. So entscheidet die zuständige Rechtspflegerin spontan, in den großen Saal 1 ins Obergeschoss umzuziehen. Die Karawane der Bieter und Neugierigen macht sich auf den Weg, drängelt ein bisschen, um dort jetzt die besten Plätze zu erwischen.

Baujahr 2001

Zwei, drei Dutzend Personen sitzen schließlich im Publikum. Dort, wo sonst Anklage und Verteidigung sitzen, haben jetzt die Rechtsvertreter der Gläubiger und des Schuldners platzgenommen. Vor zwei Jahren geriet das Küchenstudio Gesang in Althengstett in Zahlungsschwierigkeiten. Und schließlich in Insolvenz.

Heute steht die Versteigerung des aus dem Jahr 2001 stammenden Firmengebäudes an. Exakt 1558 Quadratmeter Grundfläche hat das Grundstück, 800 Quadratmeter brutto das Gebäude – Ausstellungsflächen, Büros und Lager. Stahlträgerkonstruktion, zwei Geschosse, große, eindrucksvolle Glasfassade mit direkter Sichtbarkeit von der unmittelbar daran vorbeiführenden B 295. Eine zeitlang soll alles bereits offen inseriert gewesen sein – ohne Erfolg. Daher nun die Zwangsversteigerung.

Aus dem Vortrag der Rechtspflegerin wird deutlich: Der vom Gutachter ermittelte aktuelle Verkehrswert der Immobilie von 430 000 Euro wird die Gesamtschulden aus den Hypotheken auf das Gebäude nicht decken. Die Hälfte des Verkehrswerts sind heute morgen das Mindestgebot. Also 215 000 Euro. Die Immobilie hat vier "grundbuchlich gesicherte Belastungen" – dazu gehört eine Fotovoltaikanlage auf dem Dach, die nicht Teil der Insolvenz ist, sondern dem Sohn des Gründers von Küchen Gesang gehört. Der Junior ist heute bei der Versteigerung mit dabei. Er ist selbst Unternehmer, betreibt eine Baufirma, wie er erzählt. Altbausanierungen. Kerngesund. Derzeit ist er in Absprache mit den Gläubiger-Banken "Nutzer" der Insolvenz-Immobilie, lagert hier Betriebsmittel, hält gleichzeitig das Gebäude in Schuss.

Als um 9.15 Uhr die Bieterstunde eröffnet wird – die eigentlich nur noch eine halbe Stunde dauert – in der die Interessenten bei der zuständigen Rechtspflegerin ihre Gebote abgeben können, sind die Mitglieder der Familie des Sohnes des einstigen Firmeninhabers die ersten, die ihren Hut in den Ring werfen – in Form des Mindestgebots: 215 000 Euro. Da ist es 9.20 Uhr. Es dauert weitere sieben Minuten, bis das zweite Angebot abgegeben wird: 330 000 Euro von einer Verwaltungs-Gesellschaft.

Jeder Bieter muss eine Sicherheitsleistung in Höhe von zehn Prozents des Verkehrswerts nachweisen. Und sich natürlich ordentlich legitimieren.

Weiterer Interessent

Ein weiterer Interessent kommt in den Saal. Er hat sich verspätet, brauchte etwas, um den neuen Saal für die Auktion zu finden. Er fragt nach dem aktuellen Gebot. Wundert sich über die Höhe und verlässt den Raum auch gleich wieder. Das hier hat bereits aufgehört, ein Schnäppchen zu sein. Dabei hat der echte Krimi noch gar nicht begonnen. Zwischen 9.30 und 9.45 Uhr, als die Bieterstunde eigentlich enden soll, schraubt sich der Preis zwischen besagter Familie und der Verwaltungs-Gesellschaft mit zwei weiteren Geboten auf 400 000 Euro hoch. Ab 9.45 Uhr aber geht es richtig los. Jetzt ruft die Rechtspflegerin als Auktionatorin jeweils die Gebote auf. "Zum Ersten..." Es entsteht Zeitnot. Die Familie legt jeweils 1000 Euro drauf, der Gegner erhöht jeweils auf 5000er- oder 10 000er-Werte.

Bei 415 000 Euro steigen der Sohn des Firmengründers und Angehörige aus dem Bieterwettstreit aus. Bei zehn Geboten steht die Reihe derzeit. "Das lohnt sich nicht mehr", wird er später sagen. "Für das Geld kannst du auch neu bauen". Das sehen die beiden Repräsentanten der Verwaltungs-Gesellschaft anders. Und ein neuer, weiterer Bieter auch, der bisher das Geschehen ruhig aus dem Publikum mitverfolgt hatte – ständig Zahlen jonglierend in der Rechner-App auf seinem Smartsphone. Mit 420 000 Euro steigt er in den Bieterwettstreit ein – nachdem die anwesenden Gläubigervertreter einen vorgelegten, jedoch schon älteren Handelsregisterauszug dieses Bieters als Solvenz-Nachweis akzeptieren.

Schlag auf Schlag

Ab jetzt geht es Schlag auf Schlag, mal in 5000er-, mal in 1000er-Schritten. Schnell weicht die bisher zur Schau gestellte kontrollierte Nüchternheit der Bieter purer Emotion. Hier ist jetzt viel Adrenalin im Umlauf. Wohl auch Testosteron – mit Vernunft hat dieser Wettstreit der höchsten Gebote nicht mehr viel zu tun. Es geht auch ums Gewinnenwollen. Doch jeder der anwesenden Bieter hat einen zweiten Mann dabei – der ihn bremst, Ruhe gebietet. Nüchternheit, Sachlichkeit. Das braucht’ wohl.

Mittlerweile geht das 26. Gebot ein, es steht bei 465 000 Euro – deutlich über dem Verkehrswert. Es kommt von der Verwaltungs-Gesellschaft, die scheinbar das Küchenstudio um jeden Preis haben möchte. Es ist 9.57 Uhr, als die Auktion mit "zum Ersten, zum Zweiten und zum Dritten" beendet wird. Ein kollektiver Seufzer der Erleichterung geht durch Saal 1 des Amtsgerichts. Das war ein echter Krimi, Spannung pur, auch für die, die nur zugeschaut haben.

Wofür er das Objekt so eindrucksvoll ersteigert hat, will der Gewinner dieses Bieterwettstreit an dieser Stelle nicht verraten. Man sieht ihm an, dass er sich von dieser Achterbahnfahrt erst einmal erholen muss, um einen klaren Gedanken zu fassen.