Antonio kämpft gegen Leukämie und hat in Mama Katja Probst und Stiefvater Sam Khamassi starke Helfer. Foto: Stocker Foto: Schwarzwälder-Bote

Leukämie: Beule an Schulter stellt Leben einer Familie auf den Kopf

Von Steffi Stocker

Althengstett. Antonio fährt derzeit jeden Tag nach Tübingen in die Klinik zur Chemotherapie. Nicht nur das bedeutet für den 13-Jährigen, der im vergangenen Jahr an Leukämie erkrankt ist, eine Zerreißprobe. Sein Asperger-Syndrom fordert nämlich, dass es klare Strukturen gibt.

Seine Variante von Autismus macht sich dadurch bemerkbar, dass feste Uhrzeiten eingehalten werden müssen. Doch der Krankenhausbetrieb kann darauf nicht eingehen. Und so ist sein Geduldsfaden immer bis aufs Äußerste gespannt, bis er an die Reihe kommt. Zuerst wird ihm Blut abgenommen, und dann heißt es wieder warten, bis das Laborergebnis kommt.

"Erst wenn alle Werte für seine Verhältnisse in Ordnung sind, kann die Chemotherapie fortgesetzt werden", berichtet Mama Katja Probst vom täglichen Prozedere und der einhergehenden Ungewissheit. Passen die Werte nicht, müssen Antonio und seine Mama unverrichteter Dinge wieder nach Hause fahren. Sind sie hingegen "in Ordnung", laufen so genannte Zytostatika, wie man die Zusammensetzung der Medikamente nennt, eine halbe Stunde lang in seinen Körper. Danach wird der Weg, auf dem dieses geschieht, eine Stunde lang ausgespült.

Welt war vor neun Monaten in Ordnung

"Der Arzt hat mir von Anfang an gesagt, dass ich die Arschkarte gezogen habe, und es ist unangenehm, wenn das Gerät an dir klebt und irgendeine rote oder gelbe Flüssigkeit in deinen Körper geht", sagt Antonio schonungslos direkt. Vor neun Monaten war seine Welt eigentlich noch in Ordnung. Er besuchte die Gemeinschaftsschule in Althengstett. In den Sommerferien stellten er und seine Mama dann eine Beule an der Schulter fest, die Katja Probst zunächst dem Schulranzen zuschrieb. Nachdem sich diese aber nicht zurückbildete, brachte die Mutter Antonio ins Krankenhaus nach Calw und wurde direkt nach Böblingen geschickt. "Man ging zunächst von einem Epstein-Barr-Virus aus", erzählt sie von der Behandlung. Nach dem Urlaub, den Antonio mit seinem Papa in Jesolo verbrachte, war die Beule aber immer noch da. Nach einer Biopsie wurde der Knoten entfernt, und zwei Wochen später kam die Diagnose, die das Leben der Familie auf den Kopf stellte: lymphatische Leukämie.

Hatte Antonio zunächst noch über die "Arschkarte" gelacht, wurde ihm bei einem gemütlichen Abend zuhause deutlich, "es wird ernst", wie er sich erinnert. Schon der Gedanke an das viele Autofahren habe Unwohlsein verursacht, werde ihm dabei doch immer schlecht. Das war aber nichts im Vergleich zu dem, was folgen sollte, und keiner ahnte, dass eine Chemotherapie bei jedem andere Auswirkungen hat. Diese waren bei Antonio so schlimm, dass sogar zeitweilig Lebensgefahr bestand, er sich nicht mehr bewegen konnte und wegen einer Psychose auch nicht sprach. Zur Blutvergiftung gesellte sich Hepatitis und eine Blindarmentzündung. In dieser Zeit war er stationär im Krankenhaus untergebracht. Er übergab sich permanent, eine einhergehende Mukositis als Entzündung der Mundschleimhaut vergällte ihm das Essen.

Noch vor der ersten Chemo hat Antonio sich die Haare abschneiden lassen. "Nachdem jetzt der letzte Block begonnen hatte, waren sie natürlich nachgewachsen, und plötzlich hatte ich Büschel meiner Haare in der Hand", erzählt der Jugendliche vom Erlebnis, das er eigentlich umgehen wollte. Der Blick darauf ließ ihn erschrecken, zumal Kortison sein Aussehen zusätzlich verändert und er nicht mehr damit gerechnet hatte, nochmals Haare zu verlieren. Eine schwere Erkrankung des äußeren Nervensystems zog zahlreiche schlaflose Nächte aufgrund der Schmerzen nach sich. "Er hat aber nicht geweint", erinnert sich die Mutter.

Alles andere als spaßig

Darüber hinaus schädigten die Medikamentencocktails sein zuvor starkes Herz. Alles andere als spaßig sind für Antonio Knochenmark- oder Lumbalpunktion, um die Krebszellen zu treffen oder das Gehirnwasser zu überprüfen. "Danach habe ich ein Gefühl, als ob ich paralysiert wäre", berichtet der Junge. Vor Kurzem musste der Katheder, der die Chemo in seinen Körper transportiert, herausoperiert werden, weil ein Blutgerinsel den Fluss verstopft hatte.

Die tägliche Wartezeit in der Klinik und während der Chemo vertreibt sich Antonio mit Konsolen- und Computerspielen. Gerne würde er zuhause mal mit einem Hundehalter einen Spaziergang machen, nachdem er selber derzeit kein Haustier halten darf. Durch die täglichen Klinikbesuche ist auch der Unterricht zuhause aktuell nicht möglich, den Katja Probst in Kooperation mit der Förderschule in Bad Liebenzell angestoßen hatte. Wissbegierig ist ihr Sohn.

Die Nerven sind inzwischen so weit geschädigt, dass Antonio auch Spitzfüße bekommen hat. Er macht eine Physiotherapie, um wieder richtig laufen zu können. Denn noch in diesem Jahr hat er ein Ziel im Blick. Er will Urlaub in Jesolo machen. "Das ist mein Lieblingsort, und ich möchte gerne wieder ins Wasser laufen", schwärmt der 13-Jährige. In rund zwei Wochen wird die Chemotherapie beendet sein. "Dann schließt sich für eineinhalb Jahre eine Erhaltungstherapie an", so Katja Probst. So lange bleibt auch die Ungewissheit, ob dem Blutkrebs der Garaus gemacht worden ist.

Deshalb hat sie bereits jetzt mit den Vorbereitungen einer Typisierungsaktion begonnen.