Was bedeutet Heimat für den Einzelnen? Auf spontan fließende, ganz verschiedene Antworten freuen sich (von links): Angela Anding, Hermann Unsöld, Christa Haizmann-Broschk, Dorothee Müller und Christoph Oldenkotte. Foto: Mikulcic

"Boxenstopp": Kunsthalle Altensteig ist im Oktober Gastgeber einer außergewöhnlichen Performance

Altensteig - Eine dampfende Maultasche frisch aus der Brühe; der Blick von der eigenen Terrasse aus ins Grüne; ein "isch", ein "bisch"; ein bestimmtes Emblem auf der Kühlerhaube; ein mit Heuballen voll beladener Traktoranhänger – so unterschiedliche Gesichter kann Heimat haben.

"Wir haben uns gefragt – welchen Zugang haben wir selbst?", sagt Angela Anding, Leiterin der Volkshochschule (VHS) Oberes Nagoldtal. Genau dieses Bewusstwerden, was Heimat für einen selbst bedeutet, bildete für die Organisatoren den Auftakt zu der Kunst-Performance, die sich Anfang Oktober auf dem Gelände der ehemaligen Aral-Tankstelle in Altensteig ereignen wird. "Boxenstopp – Nachdenken über Heimat", nennt sich das Ganze. Das Beste in Altensteig ist – jeder kann hier Künstler werden. Man braucht nur mitmachen. Angeregt wurde das Projekt durch die ARD-Themenwoche "Heimat", die der Sender im gleichen Zeitraum, vom 4. bis zum 10. Oktober, ausstrahlen wird.

Das fünfköpfige Organisatoren-Team aus Christoph Oldenkotte, Christa Haizmann-Broschk, Dorothee Müller, Angela Anding und Hermann Unsöld ist bei seinen einleitenden Überlegungen jedenfalls zu folgender Erkenntnis gelangt: Der Begriff Heimat mag in mancher Hinsicht noch verstaubte Anklänge hervorrufen. Doch ist er, wenn man ihn etwas weiter fasst, aktueller denn je. Nicht zuletzt, weil derzeit alle Städte und Gemeinden des Oberen Nagoldtals mit der Ankunft zahlreicher Menschen konfrontiert sind, die in Deutschland eine neue Heimat suchen. Auch dadurch hallt der Begriff Heimat derzeit in den Ohren einer breiteren Öffentlichkeit wider.

Fernab der Flüchtlings-Debatte ist der Einzelne ebenfalls mit dem Heimatbegriff konfrontiert: "Wo gehöre ich hin in dieser komischen Welt, die i eigentlich gar net mehr richtig verstand", drückt Christoph Oldenkotte, Leiter des Kulturamts Altensteig – im Abgang regional eingetönt – ein Gefühl aus, von dem sich ein größerer Teil der Gesellschaft in regelmäßigen Abständen beschlichen fühlen dürfte.

"Wer seine Heimat definieren kann, wächst in seiner Persönlichkeit", benennt Christa Haizmann-Broschk, Leiterin des VHS-Standortes Altensteig den Gewinn, den der Einzelne aus der Auseinandersetzung mit Maultaschen, Häusle, Sternen und Tannenbäumen – oder was immer Heimat sonst für ihn bedeuten mag – ziehen kann.

Das Thema sei auf jeden Fall total heiß, ist Christoph Oldenkotte sich sicher. Was die fünf Macher sich für die Heimat-Performance ausgedacht haben, ist es definitiv auch. Und um Teil des Projekts zu werden, braucht man außer einer Stunde Zeit absolut gar nichts. "Diese Stunde, dieser Ort, dieses Thema. Und Schluss.", benennt Dorothee Müller, VHS-Fachbereichsleiterin Kultur und Gestalten, die einzigen drei Dinge, die zählen, wenn man die gute Stube einmal betreten hat.

Die Performance funktioniert nämlich so: Die alte Aral-Tankstelle in der Poststraße ist die "Box". Genauer gesagt, das Kassenhäuschen. In einem Raum wird ein Stehpult stehen, im anderen Stuhl und Tisch. Weiterhin ein Blatt Papier, ein Stift und ein Glas Wasser. Von zusätzlichen Schmierblättern abgesehen – sonst nichts. Eine digitale Detox-Oase.

An diesem Ort kann sich der Performance-Teilnehmer in aller Ruhe – sitzend oder stehend – seinen Einfällen zum Thema Heimat hingeben. Ob Bild, Text, Gekritzel oder Gekrakel – jedes Resultat ist erwünscht. Die Arbeiten aller "Einsitzenden" werden zum Abschluss des Projekts, am 10. Oktober um 19 Uhr, in der Kunsthalle Altensteig vor- und anschließend ausgestellt. Wer Privatsphäre wünscht, kann sich dieser versichert wissen.

Niemand wird als Urheber eines bestimmten Bildes ausgewiesen. Allein der Entstehungsprozess, also die Performance, ist öffentlich. Zuschauer können von draußen Zeugen werden, wie der Teilnehmer im "Kämmerle" über seiner Version von Heimat brütet. Der erste, der am 4. Oktober im Rahmen der Auftaktveranstaltung ab 12 Uhr einen "Boxenstopp" einlegen wird, ist Altensteigs Bürgermeister Gerhard Feeß. Für genau eine Stunde wird er in den beiden kleinen Räumen in sich gehen. Punkt 14 Uhr fährt der nächste "Alltagspilot" in die Boxengasse ein.

"Wir planen bis jetzt mit einer Belegung zwischen 8 und 22 Uhr", sagt Hermann Unsöld, Gründer und Leiter der Kunsthalle, die sich direkt gegenüber des Tankstellen-Areals befindet. In stündlichem Wechsel werden die Performance-Teilnehmer dann die Zelle belegen. Für Mondschein-Aktive soll es zudem eine Nachtschicht-Option geben.

Und anders als bei Klassenarbeiten zählt hier: Je unvorbereiteter, desto besser. "Wir wissen selbst nicht, was dabei herauskommt, das ist ja das Schöne", sagt Hermann Unsöld. In gewisser Hinsicht scheint sein Satz eine Qualität Altensteigs wiederzuspiegeln.

"Eine Podiumsdiskussion wäre viel ungefährlicher gewesen", bemerkt Christoph Oldenkotte. Drei Jahre sei er jetzt vor Ort, sagt der Kulturamtsleiter. In dieser Zeit habe er Altensteig stets als einen von Experimentierfreude beseelten Ort erlebt. Die Bereitschaft, sich neben intellektueller auf konkrete künstlerische Auseinandersetzung mit zeitgenössischen Themen einzulassen, zeichne die Stadt aus, so Oldenkotte. Bereits damit beweist sich die Stadt mit Schloss als bestens für das Ausrichten des "Boxenstopps" geeignet. Doch solle, so betont VHS-Leiterin Angela Anding, das Projekt den Geist der ganzen Region atmen.

Egal, woher also ein Interessent kommt, er erfüllt alle Teilnahmevoraussetzungen. "Scheitern ist hier erlaubt", hebt Hermann Unsöld hervor. Dieses, so der Begründer von Altensteigs jüngster Kunst-Destination, bedeute schließlich immer auch Fortschritt. Nur zögern sollte man mit der Anmeldung nicht zu lange. Es wird erwartet, dass die regulären nicht einmal 100 Kreativ-Einheiten rasch vergeben sind. Vormerken lassen kann man sich direkt in der Altensteiger Kunsthalle, Poststraße 66, bei der VHS-Stelle Altensteig unter Telefon 07453/9 46 10 oder bei der VHS in Nagold unter Telefon 07452/9 31 50.