Johannes Berger (von links), Dmitri Dichtiar und Thorsten Bleich spielten "Arien ohne Worte". Fotos: Kosowska-Németh Foto: Schwarzwälder-Bote

Cellist stellt beim Musiksommer ein Ensemble aus Workshop-Teilnehmern für Sonaten-Konzert zusammen

Maria Kosowska-Németh Altensteig. Zu den willkommenen Gästen des Musiksommers Altensteig gehört Dmitri Dichtiar, der begnadete Cellist und geschätzte Fachmann für Alte Musik. Nach zweitägiger Arbeit mit einer Gruppe junger und älterer Streichinstrumentalisten präsentierte er nicht ohne Stolz "sein" barockes Ensemble in einem Concerto Grosso von Corelli.

Dass der Saal im Bürgerhaus nur bescheiden besetzt war, beeindruckte das kleine Orchester wenig, die Musiker spielten sensibel und souverän zugleich.

Im Nachhinein erfuhren die Zuhörer von Dichtiar, dass im Vordergrund seiner künstlerischen (und pädagogischen) Arbeit das Verständnis für den Zeitgeist und die Vermittlung der Emotionen stehen. Wichtiger sei also für ihn gewesen, die Ausdruckskraft, Dynamik und Artikulation der Workshops-Teilnehmer zu optimieren als ihre Intonation unter die Lupe zu nehmen. Er hoffe sehr, dass das Fach Alte Musik bald Einzug in die Musikschulen halten wird.

Ist Dichtiar ein Enthusiast, ein Verfechter der Alten Musik? Gewiss. Doch eine tiefgründigere Idee macht ihn geradezu zum Emissär der vergangenen Lebenskultur: Man dürfe die Musik nicht aus der kulturellen Gesamtheit herausschälen, die historische Aufführungspraxis solle vor allem ein lebendiges Zeugnis der damaligen Gefühlswelt abgeben.

Um 1600 hatte der Siegeszug der Oper als Gattung begonnen, und vieles spricht dafür, dass die damaligen Sonaten als "Mini-Opern", als instrumentale Essenz des affektiven Operngesangs und der mythologischen Thematik entstanden sind. Unter diesem Aspekt stellte Dichtiar-Trio in Altensteig ein Sonatenprogramm aus Werken der Alten Meister Gabrielli, Vivaldi, Marcello, Telemann und dem späteren Boccherini vor. Weil die Barockmusik keine feste Besetzung vorgibt, spielten Dichtiar und Johannes Berger Barockcelli, den Basso-continuo-Part übernahm Thorsten Bleich mit Theorbe und Laute.

Die "Arien ohne Worte" brauchten nicht viel Erklärung. Befreit von streng metrischen Geboten pulsierte die Musik in eigenem organischem Rhythmus, atmete lange Phrasen, holte das menschliche, leidenschaftliche Antlitz der verblichenen Venezianer und Florentiner hinter einem statischen Gemälde hervor und zeigte ihre Gemütsregungen. Die Künstler ließen der Publikumsfantasie freien Lauf und suggerierten lediglich deren Richtung. Ob Schmerzklage, Glücksseufzer, Jagdszene, Trinkgelage oder die Geschichte von Orpheus und Eurydike – die Tonkünstler unterstrichen mit jeder Saitenberührung, jeder dynamischen oder agogischen Feinheit die geradezu romantische Expressivität ihrer Interpretation.

In der Sonate von Boccherini brillierte Dichtiar im zuverlässigen Zusammenspiel mit seinen Partnern als eleganter Cello-Virtuose, der seine Fingerfertigkeit – überwiegend in den Daumenlagen – lediglich als notwendiges Element der Rokoko-Raffinesse einsetzte und den langsamen Satz in ein hochsensibles Arioso verwandelte.

Für diese ungewöhnliche Zeitreise bedankten sich Zuhörer mit langem Beifall und bekamen noch einen kleinen Leckerbissen – einen melancholischen Satz aus einer anonymen Sonate.