Schriftstellerin Caritas Führer wurde in der evangelischen Stadtkirche von Diakon Gerd Gauß interviewt. Foto: Köncke Foto: Schwarzwälder-Bote

Gedenken: In Altensteig wird der 9. November mit einer Autorenlesung begangen

Von Manfred Köncke

Altensteig. Bevor Caritas Führer in der Altensteiger Stadtkirche Auszüge aus ihrer autobiografischen Erzählung "Die Montagsangst" vorlas, erinnerte Diakon Gerd Gauß an ein in vielerlei Hinsicht historisches Datum deutscher Geschichte: Am 9. November 1918 dankte Kaiser Wilhelm II aufgrund des Kieler Matrosenaufstandes ab, am 9. November 1923 fand der Hitlerputsch in München statt, in der Pogromnacht am 9. November 1938 brannten in Deutschland Synagogen und jüdische Geschäfte, und am 9. November 1989 wurde mit der Öffnung der Berliner Mauer der Zerfall der früheren DDR sichtbar.

Welche Schulerfahrungen Caritas Führer im damaligen "Arbeiter- und Bauernstaat" machen musste, hat sie in dem aufrüttelnden und erhellenden Buch "Die Montagsangst" verarbeitet. Rigoros schildert sie darin ihre Erfahrungen als Tochter eines Pfarrers und ihre Angst, weil sie beim Fahnenappell am Montagmorgen weder Pionierbluse noch FDJ-Hemd trug und auch den Pioniergruß "Seid bereit" verweigerte.

Bald stand sie durch ihr Anderssein alleine da, brachte Lehrer und Mitschüler gegen sich auf und bekam die Unterdrückungsmaschinerie des Staates zu spüren. Auch, als sie statt der sozialistische Jugendweihe konfirmiert werden wollte. Deshalb wurde sie verspottet und drangsaliert. Obwohl die freie Religionsausübung in der Verfassung ausdrücklich verankert war, musste sie schnell feststellen, dass Theorie und Praxis in der DDR weit auseinanderklaffen.

Trotz hervorragender Schulnoten durfte sie kein Abitur machen und keinen akademischen Beruf ergreifen. Im Rückblick auf die damalige Zeit ist die 58-Jährige ihren Eltern trotzdem dankbar, dass sie ihr den geraden Weg gewiesen haben und nicht eingeknickt sind.

Die Schriftstellerin erblickte am 25. März 1957 in Chemnitz das Licht der Welt. Weil Caritas Führer nicht studieren durfte, ließ sie sich ab 1973 in Meißen zur Porzellangestalterin ausbilden. Von 1981 bis 1984 absolvierte sie ein Fernstudium am Literaturinstitut in Leipzig und arbeitete danach als Dozentin an der Theologischen Fachschule in Bad Freienwalde. Seit 1998 ist sie freischaffende Autorin, Seminarleiterin und Referentin. Die 58-Jährige ist verheiratet mit dem evangelisch-lutherischen Theologen Klaus Michael Führer und Cousin von Christian Führer, der ab 1982 mit seinen Friedensgebeten in der Leipziger Nikolaikirche für Aufsehen erregte.

"Ich möchte nie wieder in einer Diktatur leben", erklärte die Buchautorin in der Altensteiger Stadtkirche. Sie habe bei ihren Lesereisen erfahren müssen, dass es heute noch Menschen gibt, die nicht wüssten, welche Repressalien Andersdenkende in der DDR erleiden mussten. "Zukunft braucht Erinnerung" betont sie. Angst mache ihr heute, wenn sie sehe, wie schwarzgekleidete Pegida-Anhänger am Montagabend durch die Straßen von Dresden ziehen. Caritas Führer lebt inzwischen in der sächsischen Landeshauptstadt.

Musikalisch umrahmt wurde die Lesung vom Projektchor der evangelischen Kirche unter Leitung von Susanne Schuler-Meybier. Auf dem Kirchenvorplatz hatte sich inzwischen der Altensteiger Posaunenchor versammelt und spielte Choräle, deren Texte zum Mitsingen durch einen Beamter an die Schlossmauer geworfen wurden. Und um 22 Uhr läuteten die Glocken der Stadtkirche. Abschließend wurde zu Punsch, Glühwein, Spekulatius und Gesprächen eingeladen.