"Johannespassion" wird am Karfreitag in der Martinskirche zur Offenbarung

Von Karina Eyrich

Albstadt-Ebingen. Zum 290. Mal jährte sich gestern die Uraufführung der Johannespassion Johann Sebastian Bachs. Wie die Martinskantorei, das Schwarzwald Kammerorchester und Solisten unter Gesamtleitung von Steffen Mark Schwarz sie interpretiert haben, hätte dem Meister gefallen.

An die erste Fassung der mehrfach veränderten Johannespassion – Johann Sebastian Bachs erstes Passionswerk – hat sich Steffen Mark Schwarz bei der Aufführung zum Karfreitag in der Martinskirche gehalten – und es hat sich gelohnt: Der großartig vertonte Prozessbericht aus dem Johannesevangelium hat seine Kraft auch 290 Jahre nach der Uraufführung in der Leipziger Nicolaikirche nicht verloren. Ganz im Gegenteil.

Die Kantorei der Martinskirche füllt das Podium auf der Empore räumlich und die Kirche stimmlich voll aus, vor allem im ersten und im dritten Teil des Werks, da die Sängerinnen und Sänger in kraftvoller Polyphonie die Herrlichkeit Gottes besingen, aus der Jesus kommt und zu der er wieder aufsteigt. Es zeigt das Genie des Komponisten, wie Bach durch den Kanon-Gesang die Fülle dieser Herrlichkeit zum Ausdruck bringt.

Im Mittelteil gibt der Chor das Volk, das Jesus am Kreuz sehen will, und wieder ist es die sich förmlich überschlagende Vielstimmigkeit, die deutlich macht, wie viele Gruppen, wie viele Stimmen es damals waren, die des Nazareners Verurteilung forderten.

Die Geschichte erzählt der Evangelist in Person des Tenors Steffen Schaff. Seine helle, klare Stimme und seine starke Artikulation unterstreichen dabei die Schärfe des Prozessberichtes, dem Kontemplation und Milde ganz und gar fehlen, wie Schwarz im ausführlichen Programmheft dargelegt hat. Ein schöner Kontrast dazu ist die sonore Stimme von Frank Wörner, der mit seinem Bass die Christus-Worte singt. Ganz anders klingt dagegen der Bass von Roman Maslennikov. Er verleiht ihm einen feierlichen Klang und spiegelt dadurch die Erhabenheit jener Personen wieder, deren Worte er singt, Pilatus allen voran.

Auf der anderen Seite der Empore macht eine gebürtige Albstädterin ihre Rolle zu einem Höhepunkt des Konzerts: Aus dem Mund von Mezzosopranistin Susanne Stierle klingen sogar Worte wie "Lasterbeulen" schön, von denen die Menschen zu heilen Jesus sich verwunden lässt. Julia-Christina Rohrig nimmt mit ihrem jubilierenden Sopran vor allem zum Ende hin die Zuhörer mit in die himmlischen Sphären, und ihre Stimme möchte fast zerspringen – welch eine perfekte Anspielung auf die Gefühle seiner Anhänger nach Jesu Tod.

Bachs Werk ist voller Anspielungen und aussagekräftiger Bilder

Wie das Werk überhaupt voller musikalischer Anspielungen und Bilder steckt, zum Beispiel an jenem Punkt, da Petrus seinen Herrn verleugnet hat und hinausgeht, um bitterlich zu weinen. Gleich darauf sind es die Streicher des hervorragenden Schwarzwald Kammerorchesters, allen voran die singenden Geigen, die dieses Weinen musikalisch nachzeichnen.

Ein anderes Beispiel: "Da nahm Pilatus Jesum und geißelte ihn", berichtet der Evangelist, und Schaff besingt die Geißelung mit einem lang gezogenen Tremolo, macht dadurch die vielen Schläge hörbar – ebenso wie Susanne Stierle später die nicht enden wollende Trauernacht durch ein lang anhaltendes "a" unterstreicht.

Wie wohltuend hebt sich nach der Schilderung des Martyriums Christi der Choral "In meines Herzens Gnade" aus, der Christi Wiederaufstieg zur Herrlichkeit des Vaters andeutet. In ihr endet das Werk, für das die Akteure vom großen Publikum nach kurzer Stille zum Glockengeläut anhaltenden Applaus ernten. Dass die Zuhörer etwas mitnehmen und sich fragen, was die Johannespassion mit ihrem Leben zu tun hat, das hat Steffen Mark Schwarz sich gewünscht – sein Wunsch dürfte in Erfüllung gegangen sein.