Die Hände sind wieder verheilt: Stefan Glowacz gab nach seinem spektakulären Multivisionsvortrag viele Autogramme. Foto: Eyrich Foto: Schwarzwälder-Bote

Literaturtage: Zuhörern von Extrem-Kletterer Stefan Glowacz wird schon beim Anblick der Fotos schwindelig

Warum tut jemand sowas? Die Bilder der Expeditionen, die Extrem-Kletterer Stefan Glowacz in seinem Multivisionsvortrag "Von der Arktis bis in den Orient" gezeigt hat, lassen Zuschauern das Blut in den Adern gefrieren – während seines pulsiert.

Albstadt-Tailfingen. "Die Welt ist eine Arena für uns", sagt Stefan Glowacz. Und offenbar ist sie ihm nicht groß genug. So hat er sich mit seinem Kletterkollegen Robert Jasper und seinem "treuen Fotografen" Klaus Fengler aufgemacht zum Sam Ford Fjord auf Baffin Island in der kanadischen Arktis und deshalb im Thalia Atemberaubendes zu zeigen in seinem Multivisionsvortrag zu den Literaturtagen.

Zunächst von Patagonien, wo die schwierigsten Berge der Welt stehen – wegen der Winde, die sie umwehen – und wo das Trio, das auf einen riesigen Pfeiler klettern wollte, plötzlich vor einem "riesigen Bruchhaufen" stand – so stark verwittert, dass es "Russisch Roulette" gewesen wäre, dort zu klettern, wie Glowacz sagt: "Als wir uns für eine Linie entschieden hatten, stürzte genau dort ein Brocken so groß wie ein Einfamilienhaus heraus."

Die Idee für die amphibienfahrzeuggleichen Carbonschlitten, die auch fahren und schwimmen können und sich zum Bett mit Zelt umfunktionieren lassen, hat Glowacz aber aus Argentinien mitgebracht, denn er war es leid, ewig den 40 bis 50 Kilogramm schweren Rucksack, den er "Drecksau" nennt, zu schleppen und alle paar 100 Meter seine Wut an ihm auszulassen. Auf Baffin Island, der fünftgrößten Insel der Welt mit bis zu 1000 Meter hohen Granitwänden an den Fjord-Einschnitten, sollten sie zum Einsatz kommen.

"Seid Ihr bewaffnet?" Mit der Frage eines Einheimischen und dem Anlass dafür hätten die Drei freilich nicht gerechnet: Eisbären, die in der immer längeren eisfreien Zeit – der Klimawandel ist schuld – nicht jagen können und es deshalb auf menschlichen Proviant, oft samt Verpackung, abgesehen haben.

"So einen Blödsinn mache ich nie mehr in meinem ganzen Leben", haben sie sich gedacht, als sie auf tauenden Eisschichten und oft mehr im als über dem Wasser unterwegs waren, nachts beim Pieseln gegen den Eisbär-Warnzaun liefen – mit potenziell fatalen Folgen aus dem Gewehrlauf. Doch die Eindrücke in der Eiswüste seien so intensiv gewesen, "dass wir sie nie mehr in unserem Leben vergessen – sie bedeuten für uns den wahren Reichtum des Lebens".

Beim Anblick der "perfekten Wand" am Fjord hat es Glowacz "die Sprache verschlagen", aber dann "hat sich alles gegen uns gewandt": Eine Erstbegehung wollten sie machen – und stießen überall auf Borhaken aus den 1970er-Jahren. "Die nächste Hiobsbotschaft": Steinschlag. 200 Meter unter dem Gipfel. Dennoch schaffte es das Trio hinauf. Dann Schneesturm – und im Fjord taute das Eis. "Irgendwann war alles nass."

So haben sich Glowacz und seine Partner für die nächste Expedition etwas Wärmeres ausgesucht: Malaysias höchsten Berg Kinabalu mit "der verrücktesten Wandformation, die ich je gesehen habe", wie Glowacz sagt. Fenglers Fotos zeigen jetzt ganz andere Farben und mystischen Nebel. Aber auch die Szenen, da Glowacz und seine Partner gegen die überbordende Bürokratie kämpften für eine Erstbegehung des San Andreas Peak, wo es täglich ab 15 Uhr in Strömen regnet und Heerscharen von Asiaten unterwegs sind, "manche ausgestattet wie Expeditionsbergsteiger, andere stützen ihre Oma".

Im kleinen Zeitfenster mussten sie "die gesamte Verpflegung hochtragen" und wollten doch "dabei nicht alt aussehen, denn es gibt dort ganz nette Touristinnen". Sein Film zeigt, wie Glowacz sich teilweise an einem Finger an einer glatten Wand hochhangelt. Warum tut jemand sowas?

Selbst im Erdinneren kann man noch stürzen

Dass er sich mal ins Erdinnere, genauer: in die drittgrößte Höhle der Welt, abseilen würde, um wieder raus zu klettern, hätte der 52-Jährige selbst nicht gedacht: Im Oman am "Meetingplace of the Spirit" hatten der Bayer und sein amerikanischer Partner, das junge Klettergenie Chris Sharma, aber auch Auflagen. Eine davon: die Höhle säubern – und keine Spuren, also keine Haken hinterlassen. Letzteres "haben wir natürlich nicht gemacht".

Beim Setzen der Sicherungspunkte passierte es dann: Glowacz stürzte 20 Meter ins Fixseil, konnte seine Hände kaum noch bewegen. Das nächste Foto zeigt das rohe Fleisch seiner Hände. Doch allen Widrigkeiten zum Trotz haben er und Sharma es geschafft – und Glowacz hat mächtig interessante Geschichten zu erzählen, nach denen sich eine Frage dann doch erübrigt: "Warum tut jemand sowas?"