Mervenur Aydin Foto: Kistner Foto: Schwarzwälder-Bote

Bildung: Mervenur Aydin aus Ebingen ist Stipendiatin von "Talent im Land"

Mervenur Aydin ist eine "TiLerin" – das Kürzel "TiL" steht für "Talent im Land", ein Stipendienprogramm der Robert-Bosch- und der Baden-Württemberg-Stiftung, aus dem die 19-jährige Walther-Groz-Schülerin gefördert wird.

Albstadt-Ebingen. "Merve" Aydin stammt aus Antalya und kam mit vier Jahren nach Deutschland: genauer, nach Geislingen/Steige. Sie lernte Deutsch im Kindergarten, hatte nach neun Schuljahren einen Hauptschulabschluss mit der Durchschnittsnote 1,6 in der Tasche und peilte nach zwei weiteren Jahren Wirtschaftsschule das Abitur am Wirtschaftsgymnasium an.

In Klasse elf fragte sie ihr Mathematik- und Physiklehrer, ob sie schon einmal etwas von "Talent im Land" gehört habe. "Talent im Land" ist ein Stipendium, mit dem Kinder und Jugendliche aus finanziell schlechter gestellten Familien gefördert werden – bis 2013 war es Schülern mit Migrationshintergrund vorbehalten; mittlerweile ist diese Beschränkung aufgehoben.

Merve Aydin wusste nichts von "TiL", und sie hatte sich über die materiellen Verhältnisse ihrer Familie nie große Gedanken gemacht. Aber warum nicht? – Die 17-Jährige füllte erst den Online-Fragebogen aus und schickte in der zweiten Bewerbungsrunde einen Lebenslauf mit Angaben zu ihrer Person, Schulnoten, Interessen und Freizeitbeschäftigungen an "Talent im Land". Nein, sie spielt kein Instrument, sie spielt auch nicht Volleyball in einer Vereinsmannschaft, und ihre Noten waren gut, ohne dass sie eine Überfliegerin wäre – Merves Talente liegen eindeutig im sozialen und im kommunikativen Bereich: Im Geislinger Flüchtlingscafé betreute sie regelmäßig syrische Kinder und gab den Älteren Deutschunterricht.

Das machte Eindruck auf die Adressaten ihrer Bewerbung: Sie erhielt eine Einladung zur dritten Bewerbungsrunde, dem persönlichen Gespräch, und dort kamen ihre offene Art und ihre natürliche Intelligenz so gut an, dass keine Woche später der Bewilligungsbescheid fürs Stipendium im Briefkasten lag. An die 400 hatten sich beworben – Merve war eine von 50, die genommen wurden.

Ungewöhnlich für die Generation "Hotel Mama"

Das bedeutete zum einen 150 Euro im Monat, die Merve eingestandenermaßen nicht ungelegen kamen: Sie hatte sich, durchaus ungewöhnlich für die "Hotel-Mama-Generation", entschlossen, ihr Elternhaus, in dem es ihr zu eng geworden war, zu verlassen – und Geislingen dazu. Dass ihre Wohnortwahl just auf Albstadt fiel, hatte praktische Gründe: In Ebingen gibt es zum einen ein Wirtschaftsgymnasium und zum anderen eine Niederlassung des Discounters, für den Merve in Geislingen gearbeitet hatte – sie wechselte den Standort, aber nicht den Arbeitgeber und die Beschäftigung. Logis fand sie in einer Ebinger Studenten-WG, in der sie sich sehr wohl fühlt.

Wenn sie dort ist – "TiLer" sind selten daheim. Neben der Finanzspitze hat "Talent im Land" nämlich etwas zu bieten, was Merve Aydin wesentlich wichtiger ist als das Geld: Horizonterweiterung. Regelmäßig trifft sie in Tübingen oder Stuttgart andere Stipendiaten und nimmt an Seminaren und Workshops teil.

In einem kommunalpolitischen Planspiel schlüpfte sie jüngst in die Rolle eines 52-jährigen Gemeinderats mit dem Beruf Bauingenieur und drehte danach mit ihren Co-"TiLern" eine filmische Anleitung für künftige Simulationen dieser Art. Eine Studien- und Berufsorientierung in Gaggenau entpuppte sich als Persönlichkeitscheck, bei dem die Lebensentwürfe der Teilnehmer harte Testläufe bestehen mussten, und in Münster nahm Merve an einer Medienwerkstatt teil, in der sie den Stationsleiter einer psychiatrischen Klinik porträtierte. Diese Erlebnisse sind es, die Merve besonders genießt – vielleicht zeigt sich hier größtes "Talent": offen zu sein für Erfahrungen – und an ihnen zu wachsen.