Franz Moor will nicht nur das Erbe des Vaters, sondern auch Amalia. Doch die zeigt ihm die kalte Schulter. Foto: Graeter Foto: Schwarzwälder-Bote

Theater: LTT-Ensemble setzt mit zeitloser Inszenierung der "Räuber" Maßstäbe

Nicht nur zeitlos, aktueller denn je ist Friedrich Schillers Erstlingswerk "Die Räuber". Die Inszenierung des Landestheaters Tübingen (LTT) – ein Meisterwerks bis ins kleinste Detail – unterstreicht das. Im Thalia durften die Zuschauer sie erleben.

Albstadt-Tailfingen. Wohl dem, der ein solches Ensemble zur Verfügung hat, wenn er "Die Räuber", Schillers erstes und vielleicht bestes Werk, inszenieren will. Christoph Roos vom LTT hat das Glück. Unter seiner Regie stehen acht Darsteller auf einer ebenso multifunktionalen wie dynamischen Bühne im Thalia-Theater, die den Begriff "Sturm und Drang", für den Schillers Werk so prägend war, alle Ehre machen.

Zunächst Kulisse und Tafel – praktisch, um den jeweiligen Schauplatz einfach drauf zu schreiben – fällt die Wand plötzlich krachend um und wird zur schrägen Bühne auf der Bühne. Der kleine Schreck für die mucksmäuschenstill lauschenden Zuschauer ist Sinnbild für den Umbruch im Leben des Karl Moor, der – nach einer Intrige seines Bruders Franz vom Vater verstoßen – Anführer der Räuberbande wird, die Spiegelberg ausgerufen hat und der sich Schweizer, Roller, Grimm und Schwarz anschließen, allesamt verkrachte Existenzen in Jeans und Cowboy-Stiefeln, mit Tattoos und Bierflaschen. Wie zeitlos Schillers Stück doch ist: Wer es nicht besser weiß, könnte es für ein zeitgenössisches halten, passt doch die Sprache des Dramatikers bis auf wenige Begriffe seiner Epoche (1759 bis 1805), passt doch das Denken der wütenden jungen Männer auch und gerade in die heutige Zeit.

Äußerlich Draufgänger und innerlich doch so sensibel gibt Thomas Zerck den Karl Moor, der – urplötzlich – rasend, laut, bebend die ganze Bühne einnimmt. Großartig, scharf, entschieden agiert Heiner Kock als treuer, loyaler Schweizer. Daniel Tille darf in zwei Rollen glänzen: als Roller und als Herrmann, Diener des alten Moor, den Franz für seine Intrigen ausnutzt, der – stotternd vor Unsicherheit und Scham – die Nachricht vom Tode Karls überbringt und den am Ende das schlechte Gewissen über seine Lüge verzweifeln lässt. Gotthard Sinn läuft als Grimm mit dem Haufen, brilliert dafür aber als der alte Moor und arbeitet die Verzweiflung über den vermeintlichen Tod seines Lieblingssohnes in jeder Faser seines Herzens feinsinnig heraus.

Als besonders vielseitig erweist sich Rolf Kindermann: mal Schwarz in der Räuberbande, dann nahtlos, nach dessen Tod, der Pater, der mit viel Angst vor der eigenen Courage als eifriger Kämpfer für das Gute die Räuber zur Umkehr bewegen will. Und schließlich schnaufend und keuchend als Daniel, der sich treusorgend und heimlich um den – nur anscheinend vor Gram gestorbenen – alten Moor kümmert, bis dessen Augen noch einmal seinen geliebten Karl sehen. Eine wahre Urgewalt ist Robin Walter Dörnemann als aufwieglerischer Spiegelberg mit dem Temperament des Teufels persönlich in sich, und insgesamt beeindruckt, wie sicher, wie perfekt aufeinander abgestimmt sich die Darsteller auf und um die schräge Bühne bewegen – selbst wenn die sich in rasendem Tempo dreht.

Äußerlich: Traum aller Schwiegermütter

Selbstsicher ist auch Amalia, der Laura Sauer mit ihrem eindrucksvollen Spiel Größe, Erhabenheit, Anmut und Stärke verleiht. Sie erwartet die Rückkehr ihres Geliebten Karl und widersteht dabei den Verführungen ebenso wie den Drohungen des Franz Moor, dessen Darsteller Michael Ruchter ein Geniestreich gelungen ist: Äußerlich ein Schwiegermuttertraum in Anzug und Krawatte, ist er innerlich erfüllt von Neid, Missgunst und Hass für den erstgeborenen Bruder. Dabei verleiht Ruchter ihm alle Facetten des Enttäuschten, des Ungeliebten, des Rächers, des Bösen, legt mal teuflische Ironie, mal rasende Wut, mal bitteren Stolz in sein Spiel.

Obwohl sich die Brüder in Schillers Stück nicht begegnen: Bei Christoph Roos tun sie es, und beim Showdown der beiden großartigen Schauspieler fliegen nicht nur die Fetzen, sondern auch die Teile der von Peter Scior erbauten Bühne. Roos und seiner vor Präsenz strotzenden Truppe gelingt es, das Stück aus der Sturm-und-Drang-Zeit in eine Zeit zu holen, da ebenfalls wieder wütende junge Männer zur Waffe greifen, und dabei zu entlarven, dass es im Grunde Unsicherheit und Geltungsdrang ist, der sie antreibt. Wer Klassiker so zeitlos und eindrucksvoll inszeniert, hat so viel Applaus, so viele Bravo-Rufe wie im Thalia mehr als verdient.