Hubert Wicker erlebt stürmische Zeiten in Stuttgart: Der gebürtige Albstädter steht als Chef der Staatskanzlei mit im Kreuzfeuer der Stuttgart 21- Gegner. Foto: Archiv

Hubert Wicker über Stuttgart 21 und die Folgen für die Zukunft der Region Neckar-Alb.

Albstadt. Mitten im Kreuzfeuer um das Bahnprojekt Stuttgart 21 steht ein Albstädter: Hubert Wicker ist Chef der Staatskanzlei in der Landeshauptstadt. Was der Streit für ihn bedeutet, das hat er dem Schwarzwälder Boten verraten.

Herr Wicker, wie stehen Sie zu Stuttgart 21?
Stuttgart 21 sollte umgesetzt werden, da die Vorteile klar überwiegen. Es hat verkehrliche und ökologische Vorteile. Es bringt Vorteile für die Bahn, aber auch für das Land und die Menschen in Baden-Württemberg. 80 Prozent der Kosten tragen Bund und Bahn. Stuttgart 21 ist ein Jahrhundertprojekt und somit ein Zukunftsprojekt, das uns allen nutzt.

Neben einem guten Bildungssystem und guten Hochschulen brauchen Wirtschaft und Menschen eine leistungsfähige Verkehrsinfrastruktur, und dazu gehören Projekte wie Stuttgart 21 und die Neubaustrecke Stuttgart – Ulm. Wie begründen Sie dies?
Nicht nur Stuttgart und der mittlere Neckarraum, nein – das ganze Land profitiert davon. Auch für die Region Neckar-Alb und den Zollernalbkreis entstehen Vorteile. Über die "Kleine Wendlinger Kurve" wird es eine direkte Verbindung zum neuen Filderbahnhof geben und damit zum Flughafen, zur Messe und vor allem einen Anschluss ans europäische Hochgeschwindigkeitsnetz. Vorteile gibt es aber auch im Regional- und Nahverkehr. Die Region Neckar-Alb profitiert von kürzeren Fahrzeiten zum Stuttgarter Hauptbahnhof und vor allem zum Flughafen, den man künftig von Albstadt-Ebingen statt in zwei Stunden 40 Minuten, in einer Stunde und 25 Minuten erreicht. Nach der Inbetriebnahme von Stuttgart 21 sind – bei einer Elektrifizierung der Strecke zwischen Tübingen und Aulendorf – umsteigefreie Verbindungen von Albstadt nach Stuttgart möglich. Und im Rahmen der Regionalstadtbahn Neckar-Alb wird bereits die Elektrifizierung des Abschnitts Tübingen – Albstadt-Ebingen untersucht.

Sie sagen, wir leben in einer Zeit des Wandels. Wer bewahren will, der muss auch verändern. Was meinen Sie damit?
Man muss zukunftsgewandt denken. Bezogen auf S 21 heißt dies, dass wir nur durch die Realisierung dieses Projekts an das europäische Schienenfernverkehrsnetz angeschlossen bleiben. Wir verbessern dadurch den Schienenpersonennahverkehr, und durch die Tieferlegung des Bahnhofs gewinnen wir gleichzeitig 100 Hektar Fläche in Stuttgart. Aber die Tieferlegung bringt nicht nur den Flächengewinn, auch Lärm und Abgase werden aus der Stadt verbannt. Diese Vorteile tragen auf lange Sicht und rechtfertigen daher auch die Kosten, die heute entstehen, so dass sich auch zurückblickend diese Entscheidung auch in einigen Jahrzehnten noch als richtig und wegweisend bestätigen wird.

Es gibt Widerstand, ist er ihrer Meinung nach gerechtfertigt?
Die Frage ist ja die: Wenn Stuttgart 21 nicht umgesetzt wird, was lässt sich dann überhaupt noch in Deutschland umsetzen? Wenn das Projekt stirbt, bedeutet dies einen langfristigen Nachteil für Baden-Württemberg. Ich bin überzeugt, dass viele Gegner des Projekts bei objektiver Betrachtung der Fakten ihre Meinung überdenken.

Waren Sie auch schon am Zaun? Ist das Verhalten der Gegner für Sie nachvollziehbar?
Ja, ich war am Zaun. Ich habe mir ein Bild vor Ort gemacht, und ich habe mit den Gegnern von S 21 gesprochen. Allerdings war ich überrascht, wie fanatisch manche gegen dieses Projekt vorgehen. Außer der Verbesserung des Schienenverkehrs gibt es noch so viele positive Seiten. Der Widerstand in Stuttgart ist am größten, obwohl Stuttgart davon am meisten profitieren wird.

Werden Sie auf der Straße angefeindet?
Nein, ich wurde schon an meinem Wohnort Tübingen angesprochen, und es ergaben sich daraus teilweise kontroverse Diskussionen, mehr nicht.

Haben Sie Angst vor der nächsten Wahl?
Nein, ich bin zuversichtlich. Auch wenn manche Umfragen derzeit ein für die Regierung schlechtes Bild zeichnen bin ich mir sicher, dass die erfolgreiche Politik der vergangenen 60 Jahre von den Bürgern richtig gewichtet werden wird.