Lina Sulz und Dietrich Hahn blättern im Buch, das er ihr zum Geburtstag geschenkt hat. Es handelt von Otto Hahn, seinem Großvater. Foto: Müller Foto: Schwarzwälder-Bote

Otto Hahns Enkel besucht 100-Jährige

Von Beatrix Müller

Albstadt-Tailfingen. Eigentlich hätte es Lina Sulz wisssen können: Im Jahr 2009 – da war die alte Dame aus Tailfingen 96 – hatte Dietrich Hahn versprochen, ihr an ihrem 100. Geburtstag persönlich zu gratulieren. Sie wird es damals vernommen und sich "Mal sehen!" gedacht haben. Aber wirklich gerechnet hat sie wohl nicht mit einem neuerlichen Besuch. Umso überraschter war sie, als Dietrich Hahn an ihrem Ehrentag leibhaftig vor ihr stand und ihr als Geburtstagsgeschenk ein von ihm selbst verfasstes Buch über einen "gemeinsamen Bekannten" überreichte: seinen Großvater Otto Hahn, den Lina Sulz als junge Frau und Haushälterin des mit Hahn befreundeten Truchtelfinger Fabrikanten Ludwig Haasis kennengelernt hatte.

Man erinnere sich: Als das Berliner Kaiser-Wilhelm Institut, an dem Otto Hahn und Fritz Strassmann 1938 die Kernspaltung entdeckt hatten, 1944 ausgebombt wurden, zogen die Wissenschaftler nach Tailfingen um und nahmen Quartier in drei Fabrikgebäuden, nämlich Ludwig Haasis – heute ist dort das "Musicland" zuhause – , Konrad Ammann – der heutigen IHK-Akademie – und Maier zum Ritter, heute Roller KG. Hahn, der damals privat bei Julius Hakenmüller in der Panoramastraße 20 untergebracht war, und sein "Gastgeber" Haasis freundeten sich miteinander an, der Professor war fortan regelmäßg in der Fabrikantenvilla zu Besuch, und so lernte ihn auch Haasis Haushälterin und ehemalige Näherin Lina Sulz kennen. Der Professo blieb zwar nur ein knappes Jahr in Tailfingen, aber er war eine treue Seele, und schaute bis in die 1960er Jahre immer wieder bei seinen Tailfinger und Truchtelfinger Freunden vorbei – auch bei Lina Sulz, die ihn dann bekochte. Von allen Tailfingern, die sich noch an Hahn erinnern können, kannte sie ihn wohl am besten.

Eine treue Seele ist offenbar auch Hahns Enkel Dietrich. 2009 war er erstmals in Tailfingen, wo er, wie er launig berichtete, vermutlich Anno 45 gezeugt wurde – er wohnte in der IHK-Akademie der Einweihung einer Gedenktafel für seinen Großvater bei. Monate später folgte er ein zweites Mal einer Einladung von Volker Lässing, und bei dieser Gelegenheit stellte Lässing den Kontakt zu Lina Sulz her. Hahn und die alte Dame verstanden sich auf Anhieb, und Linna Sulz wusste manches aus Otto Hahns Jahr im Talgang zu berichten. Aber dass Dietrich zu ihrem 100. wiederkommen würde, hätte sie sich dann doch nicht träumen lassen – Hahn hatte sogar eine Reise nach Thailand dafür verschoben.

Das Buch überreichte er mit dem Kommentar, es enthalte vor allem Bilder; sie brauche also nicht so viel lesen – indes macht Lesen Lina Sulz auch mit 100 keine Schwierigkeitens. Oberbürgermeister Jürgen Gneveckow übergab ihr eine Ehrenurkunde des Landes, eine Tailfinger Zeitung vom Tag ihrer Geburt, ein Geldpräsent und einen Blumenstrauß. Vom Posaunenchor erhielt sie ein Ständchen.