Die Speichen sind mal wieder futsch – Daniel Deichert nimmt’s mit Humor. Foto: Schwarzwälder-Bote

Erlebnis-Radtour: Was Michaela Luib und Daniel Deichert auf 3511 Kilometern gelernt haben – auch über sich

"Jeder für sich auf dem Mountainbike? – Dann hätten wir’s nicht geschafft", dessen sind sich Daniel Deichert und Michaela Luib sicher. Auf dem Tandem haben die beiden Wahl-Onstmettinger jedoch eine richtig starke Leistung hingelegt – auch und gerade als Paar.

Albstadt-Onstmettingen. "Seit fünf Jahren sind wir zusammen, seit drei Jahren mit Tandem!" Dass Touren auf dem Zweisitzer-Fahrrad "unser Ding" sind, haben Michaela Luib und Daniel Deichert schnell gemerkt und dabei festgestellt, "dass wir damit Dinge können, die wir alleine nicht schaffen würden".

"Jetzt immer so weiter radeln", dachten sie sich bei einem ihrer Ausflüge auf der Schwäbischen Alb – es war der Anfang einer Idee, die sie in diesem Sommer wagemutig in die Tat umgesetzt haben: mit dem Tandem bis nach Sizilien fahren. "Klar war, dass wir hier vor der Haustür losradeln, dass wir über die Alpen und dass wir nach Italien wollten", erinnert sich der 52-jährige Krankenpfleger. "Also warum Sizilien aussparen?" Rhetorische Frage.

"Das Land ist ein einziger Berg"

So bastelte Daniel Deichert einen Anhänger, auf den er richtig stolz ist, aus einer Metallbox und einem Kinder-Anhänger seines Sohnes, ertüchtigte das Tandem, und beide meldeten sich im Fitnessstudio an: Um über den Winter die Kondition aufzubauen, die man braucht, um ein 110 Kilogramm schweres Gefährt über die Alpen und durch ein Land zu bewegen, das "ein einziger Berg ist", wie Michaela Luib – im Nachhinein lachend – feststellt.

Eine Koch-Ausrüstung, Essen für eine Woche und eine Notration Feierabend-Bier für die Abende in der teuren Schweiz, leichte Schlafsäcke und Luftmatratzen, Kleidung, Landkarten und das Nötigste für unterwegs fanden in Anhänger und Satteltaschen Platz, und am verregneten 1. Mai radelten die beiden los, vorbei am Bodensee bis zur Rheinquelle, über Vorarlberg und Chur Richtung Italien.

Die größte Herausforderung wartete freilich noch vor dessen Grenze: Den 2113 Meter hohen Splügen-Pass, vorbei an teils zwei Meter hohen Schneewänden, hoch zu strampeln, bezeichnet Deichert als "Heldentat" – zurecht: "Am Schluss geht es so brutal hoch, dass das Rad einfach stehen bleibt." Viereinhalb Stunden hat das Paar für die letzten acht Kilometer gebraucht, und Deichert, der vorne saß und das ganze Gewicht lenken musste, einen erklecklichen Teil seiner frisch gestählten Unterarm-Muskeln der anschließenden Abfahrt zu verdanken.

Manche Straße endete irgendwo im Nirgendwo

Nun lag Italien vor ihnen und wartete darauf, erobert zu werden. Allzu viel vorgeplant hatten sie nicht, zumal sie meist wild zelteten, wo es ihnen gerade gut gefiel, und "die schönsten Wege ohnehin jene waren, die uns Einheimische empfohlen haben". Nicht immer einfache gleichwohl: Mit Schotterpisten, Schlaglöchern und Straßen, die plötzlich im Nirgendwo endeten, hatten Michaela Luib und Daniel Deichert ebenso zu kämpfen wie mit dem Ersatz für das Hinterrad, das in Bologna schon kaputt ging: "Das neue Rad war für ein City-Rad gebaut, musste aber das meiste Gewicht tragen, und dauernd sind die Speichen gebrochen." Dass es dennoch 2500 Kilometer weit gehalten hat, haben die Fahrer "vielen freundlichen Schraubern" zu verdanken.

Die Hilfsbereitschaft der Menschen – "nicht nur aus christlicher Nächstenliebe, sondern weil sie einfach Bock drauf hatten" – hat die Wahl-Onstmettinger überhaupt schwer beeindruckt. Immer wieder haben freundliche Italiener ihnen bei Reparaturen geholfen und sie zudem noch zum Kaffee, zum Essen, manchmal sogar zum Übernachten eingeladen.

"Auf der Landkarte, die auf dem Hänger klebte, haben wir mit Edding unsere Tour nachgezeichnet, was zu vielen schönen Gesprächen führte", berichtet Michaela Luib. "Außerdem haben viele uns fotografiert – sogar Japaner." Noch mehr waren es, die ihnen im Vorbeifahren zugewunken, den hoch gestreckten Daumen gezeigt und der 56-Jährigen, die mit ihren glänzenden roten Haaren bewundernde Blicke auf sich zog, ein fröhliches "Ciao Bella!" zugerufen haben: "In Italien ist es selten, dass Frauen Rad fahren."

Große Städte – "Florenz sowieso; das kannten wir schon" – hat das Paar entweder gemieden, oder sich dort einen Campingplatz als Ausgangsbasis für die Erkundungstouren gesucht, etwa in Rom und Neapel, wo die Tandem-Fahrer "erstaunlich gute Erfahrungen" mit dem Stadtverkehr gemacht und dabei gelernt haben: "Mach’ langsam, wenn’s hektisch wird."

Angst? Nur vor der Straße auf Stelzen

War es irgendwann mal gefährlich? "Ein klares Nein!", betont Deichert. "Obwohl wir an den unmöglichsten Plätzen übernachtet haben: Angst haben wir nie gehabt." Mit einer Ausnahme: Beim Anblick der "Strada della Communicazione", die auf 80 Meter hohen Pfeilern die West- mit der Ostküste Kalabriens verbindet, hat Michaela Luib in ihr akribisch geführtes Reisetagebuch geschrieben: "Ich will auf dieser Straße nicht zu Tode kommen."

Höhenangst ist keine feine Sache – auf solchen Strecken ebenso wenig wie auf den steilen Küstenstraßen der Amalfi-Küste südlich von Neapel, die gegenüber den flacheren "Super-Stradas" zwei entscheidende Vorteile hatten: keine vorbeidonnernden Lastwagen und gigantische Ausblicke auf die Küste. Die sei freilich nirgendwo so schön wie im Osten Kalabriens: wenig Tourismus, herrliche, menschenleere Strände und "unglaublich freundliche Leute" haben die beiden so beeindruckt, dass sie sich einig sind: "Wenn wir auswandern müssten, dann dorthin."

"Es ist erstaunlich, wie wenig man braucht"

Mit ihrem Touristen-Italienisch, mit Händen und Füßen sind Michaela Luib und Daniel Deichert so gut durchgekommen. Wenn sie sich unversehens in einer Touri-Hochburg wiederfanden, hat es sie richtig gestört, wenn sie auf englisch angesprochen wurden. Aber sie gestehen lachend ein: "Immerhin waren wir ja auch Touris." Dennoch ist es für beide selbstverständlich, sich Land und Leuten anzupassen, anstatt deutsches Essen und ausgerollte Teppiche zu erwarten. "Überhaupt ist es erstaunlich, wie wenig man braucht", das haben die beiden auf ihrer Fahrt gelernt. "Zu Hause belasten wir uns mit Besitz – dabei passt unser großes Glück und unsere Zufriedenheit in vier Satteltaschen und einen Anhänger."

Was nehmen sie noch von ihrer abenteuerlichen Reise mit, die sie am 29. Juni, nach 2700 Kilometern, nach Sizilien führte? "›Geht nicht‹ gibt’s nicht! Und zwar, weil wir zusammen sind. Wenn wir zusammen sind, kann uns nichts passieren" – das haben sie erfahren, und davon sind sie überzeugt. Nicht zuletzt waren sie von der Freundlichkeit, Herzlichkeit und Hilfsbereitschaft die ihnen überall auf ihrer Tour entgegengebracht wurde, sehr beeindruckt.

Einen ganzen Monat hat das eingeschworene Paar auf der größten Insel Italiens noch verbracht und dort seine Kilometer-Leistung auf insgesamt 3511 gesteigert, ehe Michaela Luib und Daniel Deichert am 28. Juli mit dem Flugzeug zurück nach Stuttgart reisten. Im Gepäck: ein tapferes Tandem, einen genial gebauten Anhänger, der – zufällig – die perfekte Größe eines Gepäckstücks hatte, und eine Erfahrung, die sie um nichts auf der Welt missen möchten – und nach der sie noch glücklicher und verliebter sind als zuvor. Das Strampeln hat sich gelohnt.