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Fachmann diskutiert mit Betroffenen und nimmt kein Blatt vor den Mund

Von Karina Eyrich

Karl-Josef Laumann ist ein kerniger Westfale und ein richtig netter Kerl. Wenn es um die Zukunft der Pflege geht, versteht der Pflegebeauftragte der Bundesregierung allerdings keinen Spaß: Da muss etwas passieren, macht er im Haus Raichberg deutlich.

Albstadt-Onstmettingen. "Manchmal wird uns ganz schwindelig, was wir alles umsetzen sollen", sagt Kaspar Pfister. Der Chef von "BeneVit", Betreiber von 24 Pflegeeinrichtungen in fünf Bundesländern, und sein Team im Haus Raichberg um Hausleiterin Petra Dreher haben den großen Raum unterm Dach schön geschmückt, Bundestagsabgeordneter Thomas Bareiß und CDU-Landtagskandidatin Nicole Hoffmeister-Kraut haben Pflegekräfte, Betreiber und Vertreter der Kommunalpolitik eingeladen, und so sitzt eine stattliche Runde bei Kaffee und Kuchen, um mit Karl-Josef Laumann über die Zukunft der Pflege zu diskutieren.

Der einstige Bundestagsabgeordnete, Sozial- und Gesundheitsminister in Nordrhein-Westfalen sei quasi Teil eines Versprechens von Bundeskanzlerin Angela Merkel, die einen Pflegebeauftragten installieren und auf das Thema Pflege einen Schwerpunkt legen wollte, erklärt Bareiß – und Laumann hat sich bestens eingearbeitet, wie sein Vortrag und die kenntnisreichen Antworten auf die Fragen der Zuhörer deutlich machen.

Zwei bis drei Prozent mehr Pflegebedürftige jährlich stünden der Bundesrepublik ins Haus, weiß Laumann, "und jeder braucht einen Menschen, der sich verlässlich um ihn kümmert – das können wir auch nicht rationalisieren". Noch lebten zwei Drittel in ihren Familien – doch das nehme ab: Ohne häusliche Pflege würden statt derzeit 700 000 Pflegekräften 1,7 Millionen gebraucht, und die dürften nicht nur aus dem Ausland kommen, denn "Pflege hat mit Sprache und einem Verständnis für die Kultur zu tun".

"Das Verhältnis zwischen Familie und den Profis sollte nicht belastet sein"

Wichtig ist Laumann eine einheitliche Zuzahlung, die 2017 eingeführt werde, um das Verhältnis zwischen Angehörigen und professionellen Pflegekräften nicht durch die Geldfrage zu belasten. Noch in dieser Wahlperiode solle der Pflegeversicherungsbeitrag um einen halben Prozentpunkt erhöht und sollen fünf statt drei Pflegestufen eingeführt werden, um den Pflegebedarf individueller zu erfassen. Tagespflege, nicht nur in Hauptorten und mit mindestens 20 Plätzen, sei wichtig für "hochbetagte Menschen, denen das Alter Grenzen setzt", lautet sein Appell an die Kommunalpolitik.

Wenn es um die Ausbildung geht – Nachwuchskräfte würden dringender gebraucht denn je – wird Laumann richtig wütend: "Dort, wo über Pflege entschieden wird, sitzt Pflege gar nicht am Tisch", wettert er. "Unser Gesundheitssystem ist nicht pflege-, sondern arztorientiert", in sechs Bundesländern zahlten Altenpflegeschüler bis zu 300 Euro Schulgeld im Monat, eine Ausbildungsumlage sei nur in manchen Ländern vorhanden, während Krankenpflege-Azubi Geld verdienten. Die Trennung zwischen diesen beiden Fachbereichen gehört nach Laumanns Ansicht abgeschafft, zumal ein Mensch gerade in den letzten Lebensjahren mehrfach zwischen Pflegeheim und Krankenhaus pendele.

Um den Beruf attraktiver zu machen, seien aber auch ein besseres Arbeitsklima und vernünftige Arbeitszeiten nötig: Vier Wochenenddienste hintereinander als Krankheitsvertretung seien zu viel: "Deshalb müssen wir über die Personalbemessungsgrenzen reden."

Von "Knebeln in jeder Richtung durch Mindestvorgaben, niedrigerer Vergütung als im Krankenhausbereich und einem Korsett an Anforderungen durch Behörden" berichteten Betreiber und Pflegekräfte im Publikum. Kaspar Pfister betont, dass die fachliche Qualifikation ausländischer Kräfte schneller anerkannt werden sollte. Viele nutzten die Chance, Laumann Anliegen und Anregungen mit auf den Weg zu geben, und der Gast endete mit einem eindringlichen Appell: "Wenn die letzte Lebensphase mit Respekt zu tun haben soll, dann müssen auch die Pflegekräfte mehr Respekt bekommen. Und das hat nicht nur mit Geld zu tun."