Jürgen Gneveckow hat sich um eine dritte Amtszeit als Oberbürgermeister beworben. Foto: Kistner

Bewerber um Rathausstuhl werfen gänzlich unterschiedliche Lichter auf Stadtpolitik. "Gewaltiger Sprung" kontra "kopflos"

Albstadt-Tailfingen - Nur zur Hälfte besetzt waren gestern die Stühle in der Zollernalbhalle, wo sich die Kandidaten für die Wahl des Oberbürgermeisters am 8. März, Jürgen Gneveckow und Reiner Stegmüller, vorgestellt haben. Die Diskussion danach kannte vorwiegend zwei Themen: Wasserpreis und Ferienwohnanlage im Gebiet "Mehlbaum".

Was sind die Ziele, die Pläne des Amtsinhabers und seines Herausforderers für Albstadt? Jürgen Gneveckow sprach von einem "gewaltigen Sprung", den Albstadt in seinen 16 Jahren Amtszeit gemacht habe, und nannte Beispiele von der Bewältigung der Finanzkrise samt Schuldenabbau von 60 auf gut 30 Millionen Euro, die Einführung der Doppik für mehr Finanztransparenz, das Brachen-Abbruchprogramm, die Sanierung der Innenstadt Ebingen, des Klosters Margrethausen, der Eyachquelle Pfeffingen sowie der Lautlinger Schloss-Scheuer und den Bau des Backhauses Burgfelden. Die Neue Mitte Tailfingen und die Erdverkabelung der Stromtrasse in Laufen seien auf dem Weg. Mit der Ortsumgehung Lautlingen gehe es freilich nicht so schnell, und bei den Sporthallen sowie bei der Kläranlage sei der Investitionsbedarf immens.

Als Fahrplan für die nächsten acht Jahre nannte der Amtsinhaber acht Punkte: Die Stadt noch attraktiver machen, die Infrastruktur voran bringen, Unternehmen weiter günstige Rahmenbedingungen verschaffen und "das zarte Pflänzchen Tourismus hegen". Die Bildungslandschaft will Gneveckow weiter entwickeln und den Masterplan Gesundheit umsetzen, die städtischen Töchter Aswohnbau und Albstadtwerke zukunftsfähig machen, Brachen beseitigen, das Handeln der Stadtverwaltung optimieren – Aufgabenkritik inklusive – und, Punkt acht, die Bürger bei all dem einbeziehen.

Die thematische Reise startet vor der Haustür

Reiner Stegmüller, der 55-jährige gelernte Mechaniker aus Straßberg, der seit 15 Jahren als Nähmaschinenhändler in der Oberen Vorstadt tätig ist, zählte auf, was aus seiner Sicht falsch läuft in Albstadt, und begann mit der Oberen Vorstadt, wo selbst Be- und Entladen nicht mehr möglich sei und das Einhalten des Tempolimits von zehn Stundenkilometern nicht überprüft werde. Seit der Innenstadtsanierung stünden Läden leer, in Tailfingen wolle man sie nun aufbauen.

Im "Mehlbaum V" solle ein "kleines Hotel" entstehen, was bauinteressierte Familien mit Kindern abschrecke. Nach Burgfelden habe man Wanderer eingeladen und lasse die Bewohner nun mit dem Ansturm alleine. Der AC-Kaufpark in Tailfingen solle zugunsten eines Vollsortimenters abgerissen werden, für den es keinen Bedarf gebe, obwohl sich der Standort gut für die Kindertagesstätte eigne, die nun auf Langenwand entstehe, und in die "Straßenaufwertung" in der Stadtmitte seien die Tailfinger nicht einbezogen worden. "Vielleicht wollen sie lieber andere Straßen sanieren?"

Die Technologiewerkstatt wäre laut Stegmüller besser in einer Industriebrache, am künftigen Standort besser ein Wohnhaus für Familien errichtet worden. Auch die 3,8 Millionen Euro für den Campingplatz hätte man in Photovoltaikanlagen mit Rendite investieren sollen, so Stegmüller. Gneveckow, der vor acht Jahren im Wahlkampf seinen Einsatz für erneuerbare Energien angekündigt habe – "Was ist passiert? Nichts!" – habe sich erst 2014 bei einem Energieforum dagegen ausgesprochen.

Der Stadtpolitik stellte Stegmüller ein schlechtes Zeugnis aus: "Ohne Konzept, ohne Langzeitperspektive, alles kopflos."

Worüber wollten die Bürger diskutieren? Albrecht Dorow fragte, ob die Signale in Sachen Regionalstadtbahn mit Verlängerung in den Talgang auf Rot oder auf Gelb stünden. Letzteres, meint Gneveckow. "Wir brauchen noch viel Geduld", denn es gehe um ein Gesamtprojekt mit zwei weiteren Landkreisen zusammen. "Ich bleibe aber Optimist, dass wir es noch erleben werden, dass die Talgangbahn sich nochmal bewegt." Stegmüller kritisierte, dass statt dem Bau des Bahnhofs "Stuttgart 21" besser solche Regionalbahnen hätten finanziert werden sollen. "Das ganze Geld wird in Stuttgart verbaut – da wird in den nächsten paar Jahren gar nichts passieren."

Elmar Frey fragt sich, in welchem Kopf die Idee für "Tempo zehn" in der Oberen Vorstadt entstanden sei. "Kontrolliert wird nichts, gefahren wird wie verrückt." Wenn die Stadt nicht zehn Kilometer vorgebe, sondern 30, werde noch schneller gefahren, so Gneveckow. Stegmüller reagierte unwirsch: "Kompromiss zehn Kilometer? Das finde ich jetzt Schwachsinn."

"Sozial ungerecht und ökologisch unsinnig"

Konrad Appenzeller sprach das Thema an, das etliche Bürger bewegte: Die Erhöhung der Wasser-Grundgebühr um 420 Prozent zur Mitfinanzierung der Leitungsnetzes aus der Blütezeit der Textilindustrie, das heute überdimensioniert ist. Die neue Tarifstruktur der Albstadtwerke habe "grobe handwerkliche Fehler", sei sozial ungerecht und ökologisch unsinnig, so Appenzeller. Ob Gneveckow im Fall seiner Wiederwahl bereit sei, mit den Bürgern in dieser Sache zu diskutieren? Gneveckow sprach von einer langen Diskussion des Aufsichtsrats – mit einstimmigem Beschluss am Ende. Wasser sparen stecke in jedem drin – inzwischen "bekommen wir Probleme, weil wir zu wenig Wasser verbrauchen: Wir müssen an die Infrastruktur denken". Dieses Problem hätten viele Städte, und wie Albstadt damit umgehe, werde "garantiert Schule machen".

Appenzellers Vorwurf der "Basta-Politik" kommentierte Gneveckow kurz: "Die gibt es in dieser Stadt nicht – wir hätten vielleicht im Vorfeld mehr mit Ihnen kommunizieren sollen." Im vergangenen Jahr habe es erste Stadtwerke-Insolvenzen gegeben, Albstadtwerke-Chef Thomas Linnemann hingegen mache die Albstadtwerke zukunftsfest – und habe den Strom bei der letzten Runde von 24 Städten am meisten vergünstigt.

Alfons Scheck und Bernhard Scheck kritisierten, dass Mehrfamilienhäuser gegenüber Einfamilienhäusern deutlich entlastet würden. Beide hätten nur eine Wasseruhr und damit nur einen Grundpreis. "Staffeln Sie einfach den Preis der Wasseruhr nach dem Verbrauch.", sagte Bernhard Scheck. Gneveckow zitierte einen Fachmann aus Stuttgart: Die neue Struktur sei weit gerechter als vorher, die Betreffenden bisher begünstigt gewesen. Scheck wollte das nicht gelten lassen – die Grundgebühr auf acht oder neun Euro zu steigern, hätte gereicht. Gneveckow konterte, dass nur ein Drittel der finanziellen Verluste im Wasserbereich via Grundgebühr weitergegeben werde.

Stegmüller hält es für gerechter, aus der Grundgebühr eine Kopfgebühr zu machen, sieht aber einen hohen Aufwand in der Erhebung der Köpfe pro Haus – da gab Gneveckow ihm recht.

Martin Schrenk sprach Stegmüller direkt an, hatte dieser doch betont, er wolle gar nicht Oberbürgermeister werden – "dazu bin ich nicht geeignet". Allerdings trage jede Stimme für ihn dazu bei, dass Gneveckow einen Denkzettel bekomme – und eventuell nicht wiedergewählt werde. Wie das funktionieren solle bei zwei Kandidaten, wollte Schrenk wissen, und erhielt zur Antwort: "Verstehen Sie das nicht?". Stegmüllers Zusatz: "Falls ich es werde – das wäre ein Glückstag für mich und vielleicht auch ein Glückstag für Albstadt." Er sei überzeugt davon, dass sich dann noch andere Kandidaten meldeten.

Arnulf Rauch fragte nach, wann zuletzt die Gewerbesteuer erhöht worden und ob das künftig geplant sei. Zumal die Bürger nun die Zeche für die Infrastruktur zahlten – Stichwort Wasser-Grundpreis. Der Hebesatz sei seit 1984 stabil, und die Unternehmen dankten das durch Ortstreue und kräftige Investitionen, Beispiel Groz-Beckert, so Gneveckow.

An einer Lösung wird bereits gestrickt

Hans Daub sprach die "Rennstrecke" um das Seniorenzentrum Tailfingen an und bat Gneveckow, sich dafür einzusetzen, dass das Einhalten des Tempolimits dort öfters überprüft und die Situation verbessert werde. Die Antwort dürfte ihm gefallen: Der Technische Ausschuss sei bereits dran.

Ulrike Fischer aus dem Wohngebiet Mehlbaum V hat herausgefunden, dass Ferienwohnanlagen in allgemeinen Wohngebieten nicht zugelassen seien, und wollte wissen, was die Investorin Christine Mey der Stadt Gutes getan habe, um so bevorzugt zu werden. "Nichts", antwortete Gneveckow, "sie hat uns nichts Schlechtes getan." Und angesichts der Intervention der Anwohner sei eine weitere Beratung anberaumt.