Sterbebegleiterin Gertrud Mews-Korell über schwerste Entscheidungen und den Wert menschlicher Hilfe

Albstadt. Griechenland, die Flüchtlingspolitik und die Situation im Nahen Osten haben ein Thema aus den Schlagzeilen verdrängt, über das der Bundestag noch entscheiden muss – und sich damit schwer tut: Sterbehilfe. Warum das so ist, weiß Gertrud Mews-Korell, die als Hospizmitarbeiterin und Vorsitzende des Fördervereins ökumenische ambulante Hospizarbeit Albstadt und Umgebung häufig mit dem Tabuthema konfrontiert ist.

Frau Mews-Korell, warum fällt es uns Deutschen so schwer, dieses Thema überhaupt anzupacken?

Wir haben eine andere Mentalität als die Menschen in der Schweiz und Holland, die Vorreiter bei diesem Thema sind. Wenn wir gesetzlich etwas beschließen wollen, möchten wir überperfekt sein. Daher wird es wohl so schnell keine Entscheidung über Sterbehilfe geben.

Sie setzen auf Hospizarbeit. Was bedeutet das genau?

Sie ist Begleitung in der letzten Phase für den Sterbenden und seine Angehörigen. In einen aktiven Prozess wie Sterbehilfe sind wir nicht eingebunden, denn Sterbehilfe heißt, das Leben eines anderen zu beenden. Sicher sagen viele: "Am liebsten wäre ich tot", vor allem die schwerst Erkrankten. Doch wenn diese Phase näher rückt, gibt es manchen, der eventuell doch noch am Leben hängt – oder weil ihm klar wird, dass noch Dinge offen sind, die er oder sie regeln möchte. Wird einem solchen Menschen durch Hilfsmittel oder Medikamente geholfen, überdenkt er die Situation manchmal neu. Viele Menschen sind zudem – vielleicht auch nur temporär – alleine. Kommt in einer solchen Situation ein menschlicher Kontakt hinzu, ist auch das gegebenenfalls eine Veränderung zum Leben hin.

Welche Erfahrungen machen Sie mit Angehörigen?

Oft wollen oder können sie nicht über über den Tod sprechen, denn das bedeutete, die Endlichkeit zu akzeptieren, und Endlichkeit heißt eben: Ende, Vorbei, Aus.

Wie gehen Sie mit Menschen um, die sich den Tod herbei wünschen?

Wenn jemand das verbal äußert, haben wir die Möglichkeit, mit ihm darüber zu sprechen, und für viele ist es schon eine Erleichterung, wenn man ihnen zuhört und mit ihnen spricht. Schmerzen können wir nicht minimieren, aber es gibt ja auch andere Krankheitsbilder, die dazu führen, dass ein Mensch sein Leben nicht mehr für lebenswert hält.

Wie verändert sich die Situation bei Menschen, die im Koma liegen?

Wenn es Angehörige gibt, die da sind, und selbst wenn es eine Patientenverfügung gibt, stellt sich immer die Frage, ob man nicht doch zuwartet. Sobald die Umstände es erforderlich machen, darüber nachzudenken, ob man die Maschinen abstellt, ist das eine Frage, die sich vorrangig an die Angehörigen stellt. Es ist nicht unsere Aufgabe, sie in ihrer Meinung zu beeinflussen.

Ist es gesetzlich überhaupt schon erlaubt in Deutschland, Maschinen abzustellen?

Im Krankenhaus ist das bereits heute möglich, und die Ärzte gehen sehr verantwortungsvoll damit um, wobei rechtliche Betreuer oder Angehörige eingebunden sind. Außerdem geschieht das erst nach einer längeren Koma-Phase und im gemeinsamen Gespräch und Entscheid mit den Ärzten.

Stichwort rechtliche Betreuer. Wie können sie helfen?

Wenn ein Patient wirklich austherapiert ist, wird der Arzt das Gespräch mit ihm suchen und dann sicher sehr froh sein, wenn der Betreuer die Verantwortung für Entscheidungen übernimmt – dasselbe gilt oft auch für die Angehörigen. Dabei hängt es von der Person ab, ob diese alleine entscheidet oder Beistand sucht. Jeder ist da anders: Einer macht es mit sich aus, der andere sucht das Gespräch mit einem Seelsorger oder der Hospizgruppe. Aber letztlich ist dann der Betreuer derjenige, der dann entscheiden muss.

Sie sind selbst als rechtliche Betreuerin tätig. Waren Sie schon in einer solchen Situation?

Gott sei Dank noch nicht, denn für mich wäre es wahnsinnig schwierig, zumal wenn ich nicht weiß, wie der Betroffene dazu denkt und ich dann mit eingebunden bin in den Prozess, den vermeintlichen Willen des Patienten zu eruieren.

Wer entscheidet, welches Leben noch lebenswert ist?

Jeder selbst. Wer bin ich, dass ich einem anderen aufoktroyiere, was er als lebenswert empfindet? Für Mitglieder der Hospizgruppe ist klar: Wir begleiten in der Sterbephase, sind aber nicht in der Situation, aktive oder auch passive Sterbehilfe zu leisten.

Was erhoffen Sie sich vom Gesetzgeber?

Für die Ärzte wünsche ich mir, dass sie nicht mehr das Gefühl haben müssen, sich in Grauzonen zu bewegen, dass eine klare Regelung gefunden wird für den Arzt, der seinem Patienten ein humanes und würdevolles Sterben ermöglichen soll.

Sind Sie für die Legalisierung der Sterbehilfe in Deutschland?

Alle haben davor Angst, dass Einrichtungen geschaffen werden, die gewerbliche Sterbehilfe initiieren. Das ist sicher nicht im Sinne eines humanen und würdevollen Sterbens.

Angesichts der dunklen Kapitel unserer Geschichte: Ist die Diskussion in Deutschland grundsätzlich eine andere?

Ja, aber das ist es nicht, was für mich maßgebend ist. Man sollte die Frage nach Sterbehilfe aus sich heraus betrachten, nicht mit Blick auf die Geschichte.

Haben Sie die Sorge, dass bei einer Legalisierung der Sterbehilfe Dämme brechen könnten?

Ich sehe diesen Prozess nicht als dammbrechende Flut, sondern als sich im Stillen entwickelnde Gefahr, zumal niemand damit an die Öffentlichkeit gehen will. Solange es uns gut geht, beschäftigt sich niemand gern mit dem Sterben. Es ist so viel einfacher zu denken, wir lebten ewig. u Die Fragen stellte Karina Eyrich