Hochbegabte Kinder scheitern oft an einfachen Rechenaufgaben - eher als an schwierigen. Foto: dpa

Intellektuelle Unterforderung ist genauso schlimm wie Überforderung - ein Treffen im Ebinger "Hölzle".

Albstadt - Philipp mag die Schule gern. Manchmal geht es ihm aber nicht schnell genug, vor allem, wenn Stoff wiederholt wird. Außerdem kann er sich kaum bremsen: nicht immer einfach für seine Lehrer. Sie haben schließlich nicht nur einen, sondern über 20 Schüler. Dennoch ist der Elfjährige vergleichsweise unproblematisch und glücklich durch seine ersten Schuljahre gekommen. Klar, Spitznamen wie "der Professor" oder "Bücherwurm" kennt er auch, wenn auch keine Handgreiflichkeiten und Mobbing. Aber so glatt läuft es längst nicht immer. Das erzählt Christine Fuchs vom Gesprächskreis Hochbegabung: "Intellektuelle Unterforderung kann für ein Kind genauso schlimm sein wie Überforderung. Ein Kind, das Wissensfutter haben möchte, muss es auch bekommen."

Die Lebensgeschichten, mit denen Christine Fuchs bei ihrer Arbeit konfrontiert wird, ähneln einander oft. Die Sonderpädagogin ist seit 2007 im Gesprächskreis Hochbegabung aktiv. Regelmäßig hört sie von Kindern, die schon als Babys höchst ungern schliefen. Hochbegabte Kinder, so sagt sie, fallen auf durch gewählte Ausdrucksweise und hohe Merkfähigkeit. Es sind Kinder, die sich ihre eigenen Spezialthemen suchen und wenig Toleranz besitzen, wenn etwas nicht auf Anhieb klappt. Und Kinder, die sehr abstrakt denken. So abstrakt, dass Mützen, Vesperdosen oder Schulhefte regelmäßig verloren gehen. Christine Fuchs schmunzelt: "Von einer gewissen Schusseligkeit höre ich sehr oft. Und auch davon, dass sie die Mütter zur Weißglut treibt."

Ist die Fähigkeit, abstrakt zu denken, eine gute Voraussetzung für die Schule? Grundsätzlich schon, doch Christine Fuchs erklärt: "Hochbegabte Kinder scheitern an einfachen Rechenaufgaben stellenweise eher als an schweren. Sie denken zu kompliziert." Häufig dauere es auch, bis eine Hochbegabung erkannt und getestet werde, vor allem bei Mädchen: "Sie fallen weniger auf als Jungs, weil sie sich besser anpassen." Und oft ist die Begabung nicht gleichmäßig auf Wissensbereiche verteilt. Sprich: Auch ein hochbegabtes Kind kann eine Fünf in Mathe nach Hause bringen. Manche indes können ihr Potenzial schulisch gesehen nicht abrufen und werden im schlimmsten Fall zu Schulverweigerern. Während sich das eine Kind durch das Überspringen von Klassen oder Extrastoff gut arrangieren kann, zumindest zeitweise, klappt das beim anderen nicht.

Das zeigt auch ein Besuch des Gesprächskreises. Etwa zehn Eltern aus Albstadt und Umgebung kommen dort regelmäßig zusammen; das nächste Treffen ist am Donnerstag, 11. Juni. Spannend: Vornehmlich sind es Mütter, die sich im "Hölzle" in der Ebinger Langwatte versammelt haben. Viele Eltern halten sich nach außen bedeckt. Eine Mutter sagt: "Womöglich denken alle, wir wollten etwas Besseres sein. Wir wollen doch nur, dass unser Kind glücklich ist. Und das ist es, wenn es lesen, lernen und experimentieren kann."

Die meisten Eltern des Gesprächskreises haben den IQ ihrer Kinder bereits testen lassen; die Buben und Mädchen besuchen Grundschulen, Gymnasien oder spezielle Hochbegabten-Züge. Ergebnisse sind an diesem Abend aber nicht wichtig. Einig sind sich alle Frauen jedoch in einem Punkt: "Hochbegabung ist eine Masse, die sich nicht greifen lässt, weil das Thema so vielschichtig und differenziert ist. Die Hochbegabung schlechthin – das gibt es einfach nicht. Unsere Kinder sind in ihrer Vielfalt so normal wie alle anderen Kinder auch."

Weitere Informationen:

 Interessensgemeinschaft Gesprächskreis Hochbegabung Albstadt, Christine Fuchs, Telefon 07431/63 09 93

Schulpsychologische Beratungsstelle am Staatlichen Schulamt Albstadt, Lautlinger Straße 147-149, 72458 Albstadt, Telefon 07431/93 92-123

Tübinger Institut für Hochbegabung, Aiga Stapf, Karlstraße 6, 72072 Tübingen, www.tuebingerinstitut-hb.de

Tübinger Praxis für Hochbegabung, Karin Schmauser, Vor dem Kreuzberg 28, 72070 Tübingen, www.hochbegabung-tuebingen.de