Ein gestrickter Schuh: Auch für das Herstellen von Kickstiefeln liefert Groz-Beckert die geeigneten Nadeln. Foto: Adidas

Geschäftsjahr mit zwei Gesichtern: Anfangs flaue Konjunktur zieht im zweiten Halbjahr 2016 merklich an.

Albstadt-Ebingen - "Ein Geschäftsjahr mit zwei Gesichtern" war 2016 für den Albstädter Nadelhersteller Groz-Beckert: Einem eher flauen Geschäftsgang in der ersten Jahreshälfte folgte ein merklicher Aufschwung in der zweiten. Der Grund: Die Konjunktur in China erholt sich allmählich.

Der Konzernumsatz ist 2016 von 628 auf 665 Millionen Euro gestiegen – der größere Teil wurde im dritten und vierten Quartal erzielt; das Novembergeschäft war laut Firmenchef Thomas Lindner regelrecht rekordverdächtig. Die Wirtschaft in Brasilien und in Russland schwächelt zwar nach wie vor, doch entscheidend ist, was in China passiert, und dort scheint die Textilindustrie das Konjunkturtief überwunden zu haben. Der Maschinenbau, der ihr zuarbeitet, zählt erfahrungsgemäß zu den ersten Branchen, die derartige "Auf und Abs" zu spüren bekommen.

Auf die Beschäftigtenzahl hat die Konjunkturerholung – "Boom" wäre laut Lindner eine gewaltige Übertreibung – 2016 nicht durchgeschlagen. Im Gegenteil; die Zahl der Arbeitsplätze sank weltweit um 114 auf 7693 und in Albstadt von 2026 auf 2010. Laut Lindner wurden durch stagnierende Nachfrage entstandene Überkapazitäten abgebaut, ohne dass jemand entlassen worden wäre – es habe Vorruhestandsregelungen gegeben, und vakante Stellen blieben unbesetzt.

Die Trendumkehr könnte jetzt wieder zur Schaffung neuer Stellen führen, allerdings keineswegs in einem Umfang, der den Kapazitätsabbau komplett rückgängig mache. Die Zahl der Auszubildenden in Albstadt beträgt derzeit 160; davon haben 41 im vergangenen Jahr angefangen.

Vom Aufwärtstrend profitieren derzeit alle Fertigungszweige, vom Stricken übers Nähen, Weben und die Vliesstoffherstellung bis hin zum Kardieren. Hier und da gibt es Sonderentwicklungen, beispielsweise im Bereich Stricken, der auf Trends in der Schuhindustrie reagiert: Manche modischen Sportschuhe bestehen mittlerweile nur noch aus einem einzigen gestrickten Oberteil und einer Sohle; genäht wird gar nicht mehr, was den Konfektionsprozess natürlich stark vereinfacht und verbilligt – und den Bedarf an geeigneten Stricknadeln vermehrt.

Ein anderes Beispiel: Die chinesische Kundschaft liebt es flauschig; im Gegensatz zu westlichen Herstellern, die solche Vorlieben bei der Wahl des Garns berücksichtigen, bearbeiten die chinesischen Hersteller ihre Gestricke mit der Filznadel – was für sie den Vorteil hat, dass sie billigere Gestricke verwenden können. Der Kunde profitiert durch niedrigere Preise – und die "Felting"-Produktion von Groz-Beckert durch Aufträge.

Die Groz-Beckert-Tochter Solidian, Spezialistin für Textilbeton, hat zuletzt allein in Albstadt zwei neue Brücken gebaut, eine in Ebingen, eine in Margrethausen.

Zu den Großaufträgen zählte die Fertigung von Fassadenverkleidungen für einen Bürogebäudekomplex in Mannheim und – besonders spektakulär – für die Pylonen der dritten Bosporusbrücke in Istanbul. Im Übrigen steckt sich dieser Geschäftszweig langfristige Ziele: Erst wenn die Textilgelege dem Stahl in punkto Stabilität im Brandfall und letztlich auch beim Preis Paroli bieten können, werden sie in der Lage sein, nennenswerte Marktanteile zu gewinnen. Bis dahin können noch viele Jahre ins Land gehen.

Der Ausblick auf 2017: Es geht offenbar weiter aufwärts, aber wie lange der Aufschwung, der noch kein Boom ist, anhält, weiß niemand. Günstige Auspizien können trügen – und es gibt kaum Branchen, in denen das Wetter so wechselhaft ist wie in der textilen.