Volker Jehle hat als einer der Ersten erkannt, welch gute Schriftstellerin seine Mutter Hanna war, und ihre Gedichte herausgegeben. Nun ist die zweite Auflage mit Ergänzungen erschienen, aus der Jehle im "Bergcafé" in Burgfelden vorgelesen hat – ebenso wie aus weiteren Werken. Foto: Eyrich Foto: Schwarzwälder-Bote

Volker Jehle liest aus erweitertem Band mit Werken seiner Mutter Hanna – und fühlt sich ein bisschen als Voyeur

Von Karina Eyrich

Albstadt-Burgfelden. Die Freundschaft zwischen den Familien besteht seit den 1930er Jahren. Was lag also näher für Volker Jehle als im Haus des Künstler-Ehepaars Wedel-Kükenthal aus den Werken seiner Mutter Hanna Jehle zu lesen?

Als Autorin? Nein, so habe sich seine Mutter Hanna nicht gesehen, sagt Volker Jehle, sondern als Lehrerin, Mutter, Hausfrau. "Erst als unsere Mutter gestorben war, haben wir festgestellt, was für eine Schriftstellerin sie war", fügt der Sohn hinzu, der bereits 2008 Gedichte seiner Mutter publiziert und nun eine erweiterte Ausgabe vorgelegt hat, die er bei einer ungewöhnlichen Lesung präsentierte.

Ungewöhnlich aus mehreren Gründen: Zum einen las Jehle im "Bergcafé" in Burgfelden, in das schon seine Mutter gerne gekommen war, um sich von den Künstlern Fritz Wedel und Edith Wedel-Kükenthal portraitieren zu lassen, und ungewöhnlich zudem, weil Jehle Texte aus vier Werken mischte: aus dem Gedichtband, aus Hanna Jehles Kindheitserinnerungen "Mit den Augen des Herzens", aus "Mitten im Alltag", einer Sammlung von Zeitungstexten, und aus seinem eigenen, noch nicht erschienenen Werk "Das lichtlose Tier. Der Krieg" – die spannende Familiengeschichte der Jehles.

Volker Jehle liest schnell, pointiert, und seine angenehm tiefe Stimme wärmt die Atmosphäre zusätzlich an diesem Herbstabend. Stellenweise jedoch wird seine Stimme ganz weich, schwimmen Tränen in seinen Augenwinkeln: besonders, als Jehle das Gedicht "Herbststrauß" vom November 1996 liest, das letzte Werk des Bandes.

Vor allem freilich sind es Liebesgedichte, die Hanna Jehle verfasst hat, "und die meisten davon entstammen dem Briefwechsel meiner Eltern", sagt Volker Jehle mit Blick auf die Zeit, da sein Vater im Krieg in Norwegen war. Schmunzelnd fügt er hinzu: "Man fühlt sich fasst ein bisschen als Voyeur, wenn man das liest", doch wer gleich an Körperlichkeit denke, liege falsch: "Die war ausgeklammert." Warum hat Volker Jehle die Gedichte dennoch – in kommentierter Form – herausgegeben? Weil sie "formvollendet" seien und "jedem etwas zu sagen" hätten. Wohl wahr.

Hanna Jehle – das begeistert nicht nur ihren Sohn – hat ihren ganz eigenen Stil, bedient sich niemals profaner Sprache und variiert immer wieder die Reimform. All das gemeinsam hebt ihre Gedichte auf ein selten hohes Niveau. Seltener gedichtet habe seine Mutter erst nach der Rückkehr ihres Mannes Martin Jehle aus dem Krieg, denn zunächst einmal habe sie "mit schöner Regelmäßigkeit jährlich ein Kind zur Welt gebracht" – einmal sogar zwei.

Aufgehört sich einzumischen habe die Lehrerin, für welche die Emanzipation das Selbstverständlichste auf der Welt gewesen sei, freilich nicht, berichtet ihr Sohn und zitiert zum Beweis ein Gedicht vom Mai 1985: ihre bissige und doch elegante Antwort auf ein Pamphlet zum 8. Mai, dem Tag der Kapitulation des Dritten Reiches.

Manche Überraschung – und einmal sogar zwei:Bilder der Großeltern

So birgt der Gedichtband manche Überraschung, wobei es Volker Jehle freilich nicht bewenden lassen will: Als weitere Bonbons hat er Potraits seiner Großeltern Berta und Johannes Jehle, Gründer des einstigen Ebinger Musikhauses, mitgebracht. Der Künstler: Fritz Wedel.

Ebenfalls unerwartet: Ein Schüler der einstigen Streichener Rektorin berichtet nach der Lesung von Hanna Jehle, die an der Schule den Hitlergruß abgeschafft und deshalb Schwierigkeiten bekommen habe.

Die Herausgabe ihrer Gedichte und Erinnerungen zu erleben, sei seiner Mutter nicht so wichtig gewesen, berichtet Volker Jehle und zitiert sie: "Darüber freue ich mich auch noch, wenn ich tot bin." Gestorben ist Hanna Jehle am 19. April 1997. An diesem Tag hätte sie ihre erste eigene Lesung halten sollen.