Ein Mann mit Visionen: Patrick Kramer sprach zum Thema Biohacking. Foto: Schwarzwälder-Bote

Technologiewerkstatt: Unternehmer Patrick Kramer referiert in Tailfingen über Biohacking und Cyborgs

Von Anne Retter

Der Titel – "Cyborgs und der Aufstieg des Biohacking" – klang nach Science-Fiction, das Stichwort "Life Chipping" war wenig erhellend. Der Vortrag, den Patrick Kramer auf Einladung des Wirtschaftsrats der CDU in der Tailfinger Technologie-Werkstatt hielt, schon eher.

Albstadt-Tailfingen. Noch steckt es in den Kinderschuhen, aber das könnte sich bald ändern: Biohacking, die Modifikation des menschlichen Körpers durch digitale Technik ist inzwischen mehr als nur Zukunftsmusik – und der "Cyborg", der "Kybernetische Organismus" schon heute Realität, wenn man so will: Patrick Kramer, Referent in der Technologiewerkstatt, ist selbst ein Exemplar dieser Spezies: Er trägt einen Computer-Chip unter der Haut, der es ihm ermöglicht, digitale Technik ganz ohne Knopfdruck zu bedienen. Ein eher unspektakuläres Beispiel: Seine Haustür lässt sich ohne Karte oder gar Schlüssel verschließen; der Türknauf reagiert auf eine Handberührung. Allerdings hat er auch 350 Euro gekostet.

Tut Biohacking weh? Seine Pioniere haben ihre Körper tatsächlich noch im stillen Kämmerlein mit Rasierklingen malträtiert, um herauszufinden, wo sich idealerweise Chips implantieren lassen und was kleine Magneten in den Fingerspitzen bewirken können. Auch an – toten – Hühnchen wurde geübt, das Material auf Bruchsicherheit getestet; es galt, Probleme mit MRT oder Röntgenstrahlen auszuschließen. Mittlerweile geht die Umwandlung eines Menschen in ein Mensch-Maschine-Hybrid in Windeseile und ohne großen Blutverlust über die Bühne: Live erlebte Kramers Publikum, wie er seinen Probranden binnen Sekunden einen sterilen RFID-Chip unter die Haut schob. Mit einem solchen Implantat lässt sich je nach Programmierung eine Autotür öffnen, eine mit dem Smartphone auslesbare elektronische Visitenkarten generieren oder ein Tablet entsperren. Die Programmierung kann übrigens verändert werden – ein Fingerdruck auf den Smartphone-Touchscreen genügt.

Die Nachfrage ist derzeit höher als das Angebot

Aber wer braucht so etwas? Viele – die Nachfrage der Kunden nach Fingermagneten ist derzeit höher als das Angebot, weltweit besitzen inzwischen rund 50 000 Menschen ein Implantat, schätzt Kramer; seine ne Firma wächst rasant. Aber selbst diejenigen, die "Selbstverstümmelung heute noch ablehnen, könnten eines Tages anderen Sinnes werden: "Vielleicht wird man es sich in Zukunft gar nicht mehr leisten können, kein Implantat zu haben." Kramer imaginiert eine Welt, in der Arbeitsplätze nur noch an Bewerber vergeben werden, die auch ohne PC googeln oder Mails verschicken können – mit Gehirnimplantat kein Problem; schon heute, so Kramer, sei es möglich, eine Drohne mit Gedanken zu steuern. Derzeit ließen sich Implantate zwar noch nicht sicher im Kopf verankern, aber dieses Problem werde in zehn bis 15 Jahren wohl gelöst sein.

Wohin das führen soll? Theoretisch bis zur Verschmelzung der biologischen und digitalen Identität. Um nicht zu sagen: Identitäten – die Zukunft gehört laut Kramer Zukunft dem "Internet-of-us": Wissen wird jederzeit für jeden verfügbar, Sprachbarrieren verschwinden, der Austausch über Gefühle bedarf keiner Worte mehr. Wunsch- oder Alptraum? Daniel Spitzbarth, Innovationsmanager der Technologiewerkstatt, ging noch weiter; er ließ das Stichwort Unsterblichkeit fallen: Der Körper vergeht, das Bewusstsein wird in eine Cloud hochgeladen.

Patrick Kramer räumt ein, dass auch Insidern solche Visionen etwas zu weit gehen – er verließ deshalb seinen Arbeitgeber IBM und führt nun in Hamburg sein eigenes Unternehmen. Seine Zuhörer verließen die Technologiewerkstatt auf jeden Fall mit erweitertem Horizont – und zwei von ihnen mit Metall unter der Haut. Orten kann man sie damit aber nicht: "Da ist ja kein GPS an Bord!", beruhigte Kramer.