Ex-Minister Friedrich Bohl sprach über Europa. Foto: Marquardt Foto: Schwarzwälder-Bote

Hochschule: Friedrich Bohl spricht über Europas Probleme

Albstadt/Sigmaringen. Friedrich Bohl, von 1991 bis 1998 Helmut Kohls Bundesminister für besondere Aufgaben, hat auf Einladung der Fakultät "Business Science and Management" an der Hochschule Albstadt-Sigmaringen einen Vortrag über Europas diverse "Baustellen" gehalten: Niedrigzins, Euro, Brexit standen auf der Liste, die keinen Anspruch auf Vollständigkeit erhob.

Mit einem historischen Rückblick auf die Entstehung der Europäischen Union führte Bohl seine Zuhörer im vollbesetzten Hörsaal an seine Themen heran und verwies darauf, dass auch früher nicht alles eitel Sonnenschein gewesen sei. Beispiele? Die Politik des leeren Stuhls von Charles de Gaulle in den 1960-er Jahren oder die Forderung der britischen Premierministerin Margaret Thatcher nach einer Absenkung der britischen Beitragszahlungen in der 1980-ern, um nur zwei zu nennen. "In der Politik ist nie etwas hundertprozentig", erklärte Bohl. Immer wieder müsse man nach neuen tragfähigen Lösungen suchen.

Hat Bohl also Verständnis für die Entscheidung der Briten, sich an der Suche nach Lösungen künftig nicht mehr zu beteiligen? Nicht viel. Der Brexit stelle einen entscheidenden Schnitt für die EU dar. Mit dem tatsächlichen Ausscheiden der Briten habe niemand gerechnet, und die wirtschaftlichen Folgen seien noch nicht absehbar – allein Deutschland exportiere jährlich Waren im Wert von 90 Milliarden Euro nach Großbritannien. Gleichwohl gibt sich Bohl zuversichtlich – man werde auch das schaffen. Der ehemalige Kanzleramtsminister ist von Europa überzeugt – auch weil "eine Alternative zur EU brutal aussieht". Der Wohlstand der Deutschen verdanke sich zum Großteil Europa, stellt er klar. "Es tut uns gut".

Den wachsenden Populismus in Europa und den USA beobachtet Bohl mit großer Sorge; den Lockruf der vermeintlich einfachen Lösungen hält er für trügerisch. Beispielsweise sei das gigantische Investitionsprogramm in den USA, das Donald Trump in Aussicht stelle, ohne mexikanische Bauarbeiter kaum zu bewältigen. Bohl wirbt für Nüchternheit, Augenmaß und Realismus. "Wir müssen uns die Dimensionen unserer Probleme einmal klar machen." Während seiner Zeit im Bundeskanzleramt hätten zahlreiche Delegationen aus Entwicklungsländern von Problemen wie Aids, Hunger und hoher Kindersterblichkeit berichtet; in Deutschland hätten sich die Diskussionen um Ladenöffnungszeiten und Lohnfortzahlungen gedreht.

Allerdings habe sich die Welt seither geändert und der Wind gedreht: Wenn man anderen Nationen bei der Lösung ihrer Probleme nicht helfe, dann würden diese Probleme irgendwann auch Deutschland erreichen. 70 Jahre Frieden in Europa seien keine Selbstverständlichkeit: "Wir können dankbar sein für das, was wir erreicht haben, und hoffen, dass es noch eine Weile so bleibt."