Soziales: Die Psychologische Beratungsstelle Albstadt feiert ihr 40-jähriges Bestehen mit einem Festvortrag von Jan Kizilhan

Weggefährten, Kollegen und Honoratioren aus der weiten Region sind am Freitag zur Feier des 40. Jubiläums der Psychologischen Beratungsstelle Albstadt gekommen.

Albstadt-Ebingen. Einen schwungvollen Beginn bescherte die Combo "Silent Jazz Trio" aus Stuttgart den Gästen beim Jubiläumsfest im evangelischen Gemeindehaus Spitalhof, so dass Stephan Heesen, Leiter der Psychologischen Beratungsstelle Albstadt, leichtes Spiel hatte mit seinem Rückblick auf deren 40 Jahre. In ihrem "Geburtsjahr" 1977 sei Helmut Schmidt noch Bundeskanzler, die RAF noch auf freiem Fuß und die Gesellschaft männlich dominiert gewesen, sagte Heesen. So seien Ehen damals noch nach dem Schuldprinzip geschieden worden – eine schwere Benachteiligung für die betroffenen Frauen.

Dank richtete er an seine Kollegen: Psychologische Berater, Reinigungskräfte sowie die Frauen vom Sekretariat, deren Tätigkeitsbereich er humorvoll mit "am Schalthebel der Macht" umriss.

20 000 Fälle habe die Beratungsstelle in ihrer Geschichte verzeichnet – und fast immer helfen können. Seit den 1990-er Jahren sei sie, bedingt durch finanzielle Schwierigkeiten der evangelischen Kirche, immer wieder vor dem Aus gestanden; Dekan Gotthilf Baumann habe aber "wie ein Löwe" für die Übernahme der Kosten durch den Kirchenbezirk gekämpft und den Bestand gesichert. Heesen lobte auch die Stadt Albstadt, die seit jeher für die Miete aufkommt, und konstatierte, dass der katholische Träger der ökumenischen Einrichtung, die Diözese Rottenburg-Stuttgart, in ihrem Engagement niemals gewankt habe.

Im Anschluss überreichte er den ehemaligen Mitarbeitern, darunter seinen Vorgängern, Präsente. Gefühlvolle Melodien aus der Klarinette von Manfred Schütt leiteten über zum Festvortrag von Jan Kizilhan, Experte für Transkulturelle Psychiatrie und Traumatologie, der eine große Herausforderung für die Beratungsstelle beleuchtete: die psychologische Betreuung von Geflüchteten. Vermutlich seit dem Dreißigjährigen Krieg habe Europa keine vergleichbaren Gräuel erlebt, sagte Kizilhan und nannte als Beispiel das Schicksal eines jesidischen Dorfes im Nordirak: Der "IS" habe die Bewohner zwingen wollen, zum Islam zu konvertieren. Als sie sich weigerten, hätten die Terroristen jeden der mehr als 400 Männer ermordet, Frauen und Kinder versklavt. Bis zu ihrer Befreiung seien sie mehrere 100 Male vergewaltigt worden.

Weil Jesidinnen nach einer Vergewaltigung vom Kult ausgeschlossen seien, habe er die religiösen Oberhäupter überzeugen müssen, sie wieder zuzulassen, gebe ihnen die Zugehörigkeit zur Gemeinschaft doch die Kraft, mit ihrem Schicksal fertig zu werden.

Wichtig für die Therapie von Menschen aus anderen Kulturkreisen seien Interesse und Verständnis für deren Kultur und Glaubenswelt, denn auch der Glaube helfe bei der Verarbeitung traumatischer Erfahrungen. Dabei müsse sich der Therapeut selbst nicht mit den Werten der jeweiligen Religion identifizieren. Für seinen Selbstschutz sei es indes wichtig, sich eines klar zu machen: Das "Kopfkino", das der Patient mit seinen Berichten in Gange setze, unterscheide sich von der Realität – und bilde schon gar nicht die eigenen Probleme ab.

Die Grenze für das Verständnis fremder Kulturen sieht Kizilhan in der Rechtfertigung von Gewalt. Dass ein Familienvater Frau und Kinder schlage, weil das in seiner Kultur normal sei, dürfe man unter keinen Umständen akzeptieren.

Der Doktor in der Nähe des Diktators?

Ein weiteres Problem: Syrer assoziierten Therapeuten mit Doktortitel oft mit der Diktatur Assads, da Ärzte in Syrien oft als Informanten für das Regime gearbeitet hätten.

Umsicht sei wichtig im Umgang mit Menschen mit posttraumatischer Belastungsstörung, betonte der Festredner, Denn schon eine einzige Bewegung oder ein harmloses Wort könne den Patienten retraumatisieren. Doch dazu müsse es nicht kommen: Nur die Hälfte derer, die Krieg erleben, entwickelten überhaupt ein Trauma – und psychologische Beratung könne die Zahl der Fälle reduzieren, in denen aus der seelischen Verletzung eine Belastungsstörung werde.

Die vorbildliche Arbeit der Beratungsstelle im familiären Bereich lobte anschließend Sozialdezernentin Dorothee Müllges, stellvertretend für Landrat Günther-Martin Pauli, zumal die Fallzahlen von Familienkonflikten tendenziell steigen. Gerade die immer stärkere Beschleunigung der Gesellschaft bringe neue Herausforderungen für die Mitarbeiter mit sich, bestätigte Oberbürgermeister Klaus Konzelmann und wünschte dem Team um Stephan Heesen "viel Erfolg und eine glückliche Hand".

Anforderungen und Druck auf die Menschen durch die Digitalisierung nannte Irme Stetter-Karp, Ordinariatsrätin der Diözese Rottenburg-Stuttgart, als weiteres Beispiel. Die Berater müssten sich daher auf neue Probleme einstellen, etwa die Auswirkungen von Cyber-Mobbing. Dem Team dankte sie für seine Arbeit und wünschte ihm weiterhin einen guten Zusammenhalt und die innere Überzeugung für ihren wichtigen Dienst. Im Namen des Förderkreises wünschte Pfarrerin Sibylle Biermann-Rau den Mitarbeitern Kraft und Hoffnung für ihre große Aufgabe.