Walter Spira kämpft gegen den Jugendwahn – und freut sich über Nischen-Kultur. Foto: Miller Foto: Schwarzwälder-Bote

Wie Walter Spira mit dem Griff in seinen Weisheitsfundus das Publikum im Kräuterkasten betört

Von Sabine Miller

Albstadt-Ebingen. Eine zweieinhalb Stunden füllende Melange aus Musik und Comedy hat Walter Spira im Kräuterkasten präsentiert und dabei die wirklich wichtigen Fragen des Lebens gestellt.

Dankbar sei er, dass es im Zeitalter von "DSDS" noch solche Nischen gäbe, freute sich der Ulmer Liedermacher Walter Spira bei seinem Auftritt im Kräuterkasten über die heimelige Albstädter Kleinkunst-Lokalität. Mit der Gitarre im Arm saß er im Scheinwerferlicht der alten Mauern und stellte sich mit dem Thomas-Felder-Lied "I hab’ lang braucht zum komma" dem Publikum vor.

Spira singt "schwebisch". Das macht Laune. "Hochdeitsch" kann er aber auch. Dass Walter Spira sich so ungeniert bei einem Kollegen bedient, ist nicht ungewöhnlich. Meist formt er den Inhalt der Lieder um, in diesem Fall ist es seine Biografie, die in den Gehörgang dringt. Seine Texte bewegen sich fast immer im Spannungsfeld von humorvollem Wortspiel und sinnstiftendem Tiefgang. "Wie haben sich Neandertaler kennengelernt ohne Laptop?" – für solche Sätze muss man ihn mögen.

Brisante, gesellschaftliche Dauerbrenner wie die sich stetig rasanter entwickelnde Technik – "Hend Sie nix mehr mit zwei Knöpfle?" –, rasch um sich greifende Dschungelcampverblödung und Liebe in Zeiten virtueller Welten nimmt er in seinen Darbietungen genauso unter die Lupe wie persönliche Identitätskrisen. Wer in Spiras musikalischen Weisheits-Fundus eintaucht, lernt für’s Leben oder erkennt seines zumindest darin wieder. Plastisch und mit profunder Szenen-Kenntnis beschreibt der Künstler jene Süchtigen, die sich in Tai Chi und Reiki-Kursen und mit Feng-Shui-zentrierter Lokusschüssel verbissen um die Leichtigkeit des Seins bemühen: "Ommm…" summt es im Kräuterkasten.

Die Psychotherapie ist bereits fest eingebaut

Das griffige Lied von der "Tschandall" (Chantal) überzeichnet den Alltagsstress vermeintlich hochbegabter Kinder, in deren vollgepfropftem Wochenplan die Psychotherapie bereits fest eingebaut ist. Walter Spira spitzt zu, presst seine Themen aus wie saftige Früchte. Und hat die Lacher stets auf seiner Seite trotz des ernsten Hintergrundes. Gelegentlich legt er noch eine Schippe drauf und greift zu visuellen Reizen: als einsamer Cowboy mit Texashut kostet er Ulrich Roskis "Lonesame Raider" aus oder tönt als Terminator mit Stirnband, Sonnenbrille und vokaler Durchschlagskraft "I Give You Freedom With My Gun" – ich schenk’ Dir Freiheit mit meinem Gewehr. Die gezückte Mini-Wasserpistole beeindruckt allerdings recht wenig.

Spitzenklasse ist sein "Oldtimer-Rap" im knallroten T-Shirt, mit dem er als "Checker vom Revier" stilecht und vollmundig ins Feld gegen den ausufernden Jugendwahn zieht. Am Ende gibt’s heftigen Applaus. Zugabe gefällig? Aber klar doch. "Bei mir reicht’s, wenn einer ›Zugabe" denkt", schmunzelte der Sänger mit der wohltuend warmen Stimme und der liebenswürdigen Art. Und verabschiedete sich mit Ohrwürmern von Reinhard Mey.