Mitarbeiter Mathias Herter siebt Tannensamen. Foto: Schwarzwälder-Bote

Christian Schlegels Samen-Klenge in Laufen ist die letzte private, die es in Baden-Württemberg gibt.

Albstadt-Laufen - Wer weiß, warum die Laufener drei Tännchen im Wappen führen? Weil Bäume, Pflanzen und Samen seit jeher ihr Metier waren – noch heute ist in Laufen eine Samen-Klenge zu Hause, die letzte private, die es im Land noch gibt. Dort herrscht derzeit Hochbetrieb.

212 Jahre alt ist das fünfgeschossige Haus in der Dobelstraße; seit sechs Generationen nutzt die Familie Schlegel es zur Gewinnung von Baumsamen. Bis Weihnachten war es winterlich kühl darin – draußen wickelte Christian Schlegel das Saisongeschäft mit den Christbäumen ab, und drinnen drehte sich lärmend das trommelförmige Grobsieb, in dem die Weißtannensamen von den Schuppen der Zapfen getrennt werden. Hitze ist dafür nicht vonnöten – die getrockneten Zapfen zerfallen; das ist eine Besonderheit der Weißtanne, die sie von anderen Nadelbaumarten unterscheidet.

Um an die Samen der Douglasie heranzukommen, muss man dagegen die Zapfen öffnen. Dafür braucht es Wärme: im Wald, wo die Zapfen im April und Mai ganz allmählich aufgehen, Frühlingstemperaturen und in der Samen-Klenge, wo man nicht ganz soviel Zeit hat wie Mutter Natur, satte 50 bis 60 Grad Celsius. In der letzten Woche des alten Jahres haben Christian Schlegel und seine Mannschaft den riesigen Ofen im Erdgeschoss mit tauben Zapfen angeheizt, und dann stieg erst einmal schwarzer Rauch aus der feurigen Klausur auf – der weiße lässt sich Zeit, denn schließlich hatten die Sandsteine ein Jahr lang Zeit, Feuchtigkeit zu ziehen, und die entweicht nun qualmend. Was verbrennt da, ist Schlegel schon gefragt worden? Nur Zapfen. Die Nagolder Staatsklenge hat lange Zeit Öl und dann Gas verfeuert, ehe sie wieder zu den traditionellen Bruchzapfen zurückfand. Schlegel dagegen modernisierte nie – und ist heute Avantgarde.

Zwei Tage lang wird das ganze Haus bis hoch ins Dachgeschoss aufgeheizt; dann ist es so weit: Die Douglasienzapfen, sogenannte Rohlinge, von denen gleich nebenan fünfeinhalb Tonnen auf dem Boden ausgebreitet sind, werden auf sogenannte Hurten – große Siebe – verteilt. Sie sind vier Wochen lang vorgetrocknet; damit sie weder keimen noch schimmeln konnten, wurden sie regelmäßig mit der Schaufel gewendet und gut belüftet – Fenster hat der Trockenboden nicht. Nun werden die Hurten, ähnlich wie leere Tabletts im Schnellrestaurant, in riesige Wagen eingeräumt, von denen jeder 64 Hurten fasst. Sechs solche Wagen gibt es, zwei pro Stockwerk, und alle sechs Wagen werden, wenn sie beladen sind, auf Schienen über den Ofen geschoben. Dann tut die Hitze ihr Werk. 60 Grad sind ein unwiderstehliches "Sesam-öffne-dich" – nach anderthalb Tagen ist auch der letzte Zapfen der insgesamt eine Tonne schweren Ladung aufgesprungen. Der Zierzapfen im Wohnzimmer lässt sich dafür wochenlang Zeit.

Die Arbeitsgänge, die nun folgen, haben sich in den vergangenen Jahrzehnten kaum verändert: Die "Häspel", das große Holztrommelsieb, trennt alles Kleinteilige – Samen, Nadeln, Harzklümpchen, Staub – von den Bruchzapfen, die Bürstenmaschine anschließend leichte von schweren Partikeln: Die Samenflügel trägt der Luftzug davon, was jetzt noch übrig ist, wird gesiebt und gesäubert, bis ein Reinheitsgrad von 99,9 Prozent erreicht und nichts zurückgeblieben ist außer Samenkörnern: 60 000 lassen sich aus einem einzigen Kilo Zapfen gewinnen, die Keimkraft liegt laut Christian Schlegel bei 95 Prozent.

Und wieviele Kilo fallen in einem Winter an? In Christian Schlegels Speichern, Lagern und Kühlhäusern lagern zahllose Säcke mit Zapfen, die alle mit Laufzetteln und Zertifikaten versehen sind – in diesem Metier will alles staatlich geprüft sein, jeder Wald muss separat "geklengt" werden, kein Weinbaugesetz kann strenger sein als die Regeln des Waldbaus. Rund 20 Tonnen Weißtannenzapfen, 16 Tonnen Douglasie und mehr als 30 Tonnen Fichte verarbeitet Schlegels Klenge in diesem Winter, der freilich besonders ergiebig sein wird: 2011 war eine Vollerntejahrgang, wie es ihn nur alle drei bis sechs Jahre gibt. Die Chance für Schlegel, für kommende "Teilmast"-Jahrgänge mit weniger Zapfen vorzubauen und Samen einzulagern: Im gekühlten Glasballon, der keine Feuchtigkeit einlässt, überdauern sie bis zu zehn Jahre.

Mit "Klenge" ist ein Darrhaus gemeint, in dem die Samen von Nadelbäumen mittels Hitze aus den Zapfen gewonnen und aufbereitet werden. Das Wort kommt angeblich von "Klingen", womit das Geräusch gemeint ist, mit dem die Zapfen aufspringen. Laufen war einst eine Hochburg der Samen-Klenger; es gab drei Klengen im Dorf – und in Haigerloch befand sich gleich die nächste. Heute lässt sich die Zahl der deutschen Klengen an einer Hand abzählen; in Baden-Württemberg gibt es zwei, die Staats-Klenge in Nagold und die von Christian Schlegel in Laufen. Der verarbeitet außer der eigenen Ernte auch Lieferungen vieler anderer Wald- und Baumbesitzer – und er beliefert ganz Deutschland mit Baumsamen.