Vom Kurt-Georg-Kiesinger-Platz bis zum Rathaus reichte der Zug der Demonstranten.  Foto: Eyrich

Mächtig Gegenwind für Landrat Pauli: Hunderte protestieren in Ebingen für Zwei-Standort-Lösung.

Albstadt-Ebingen - "Kein Aus für unser Krankenhaus" schallte es am Samstag aus Hunderten Kehlen bei der Demonstration der Bürgerinitiative "Pro Krankenhaus in Albstadt" (BI). Sie protestierte für die Zwei-Standorte-Lösung und gegen Gutachten auf Basis veralteter Zahlen.

Zwei Ärzte, Kommunalpolitiker, Vertreter der Gewerkschaft Verdi und des Personalrats einer Tübinger Klinik: Die BI hatte alles Nötige aufgefahren, um die Krankenhausdebatte unter allen Aspekten zu beleuchten. Was bei der Kundgebung, die Rainer Günther moderierte, alle kritisierten: Die Debatte über ein Zentralklinikum zwischen Albstadt und Balingen sei im Kreistag aufgekommen, kaum dass der Balinger Neubau fertig war und bevor er die Chance hatte, sich als wirtschaftlich zu erweisen. Basis für die Gutachten, die Kreistag und Stadt Albstadt in Auftrag gegeben hatten, seien alte, nicht mehr belastbare Zahlen, seriöse Rechnungen deshalb derzeit nicht möglich.

Wältner: Nähe ist im Notfall lebenswichtig

Hartmut Wältner, Arzt aus Tailfingen, führte für den Erhalt des Zollernalb-Klinikums in Albstadt und Balingen die Erreichbarkeit in einer Flächenregion mit oft schwierigen winterlichen Verhältnissen und den Wert schneller Hilfe für das Überleben respektive den Therapieerfolg ins Feld. "Wer glaubt, ausgezeichnete Gesundheitsversorgung gebe es zum Nulltarif, ist auf dem Holzweg", rief Wältner, der die Kosten für ein Zentralklinikum – "niedrig" – auf 200 Millionen Euro schätzt; "bis zu einer Realisierung eher auf 300".

Der Tailfinger Arzt Thomas Voelter nahm sich das Argument der Krankentransporte zwischen Albstadt und Balingen vor: Der Kauf eines Kernspintomographen für Ebingen würde Kosten deutlich senken. Nun die Transporte, deren Notwendigkeit schon bei der Entscheidung für die Zwei-Standorte-Lösung 2005 bekannt gewesen sei, als Argument für ein Zentralklinikum ins Feld zu führen, sei hinterhältig, meinte Voelter.

Eine älter werdende Bevölkerung und das Auftreten multiresistenter Keime erhöhe den Bettenbedarf – bis 2030 um zwölf Prozent. Die Fallpauschalen für viele Behandlungen seien heute schon nicht kostendeckend. Voelter sieht daher grundsätzlich Reformbedarf im Gesundheitswesen: "Es bedarf eines langen Atems, unser Ziel durchzusetzen – die Schubkraft muss von der Bevölkerung ausgehen."

Die Bedeutung des Standortfaktors Krankenhaus für die wirtschaftsstärkste Stadt im Zollernalbkreis, aus der jeder dritte Euro im Kreishaushalt komme, machte – nach fliegendem Wechsel von Demonstranten und Bühne zum Rathaus; das Team von "Skyder Sportpromotion" handelte flink – Ursula Hämmerle deutlich. Albstädter Firmen brauchten Fachkräfte, um diese Steuern zu erwirtschaften. "Aber wer will sich in einer Stadt ohne Infrastruktur ansiedeln? Schon die Berufsschulreform war ein schwerer Schlag für Albstadt!" Kreistag und Landrat Günther-Martin Pauli sägten "an der tragenden Säule", so Hämmerle, dürften aber das Bürgervotum von 33 500 Stimmen nicht ignorieren. "Doch unser Landrat schweigt und schweigt. Ist das Arroganz oder Ignoranz?", rief sie der applaudierenden Menge zu.

Wer für die Schließung des Albstädter Hauses sei, müsse wissen, "dass er sich mit einer breiten Mehrheit der Bevölkerung anlegt", sagte Christiane Kasprik und kritisierte den Privatisierungstrend im Gesundheitswesen: "Er macht Krankheit zum Geschäft und Menschen zu Fallzahlen", doch das Krankenhausdefizit mache im Kreishaushalt nur zwei Prozent aus: "Das ist unsere Gesundheit allemal Wert, Herr Pauli", rief sie und appellierte an alle, über Partei- und sonstige Grenzen hinweg zusammenzustehen.

Kasik: Ein Konzept liegt bis heute nicht vor

Heinz Kasik, Initiator der BI, forderte "ein schlüssiges Konzept für beide Krankenhäuser", das bis heute nicht vorliege. "Dies wäre die Aufgabe eines Professor Michael Bitzer", des ärztlichen Direktors des Zollernalb-Klinikums. Der "Obere Bezirk" werde gemolken, "aber wir sind keine Ortsteile von Balingen", so Kasik. Schließung und Umgestaltung des Hechinger Krankenhauses hätten bis heute 16 Millionen Euro gekostet. "Wie viel wäre es in Albstadt?" Besser man stecke das Geld in die Sanierung.

Dass mit den von Krankenkassen finanzierten Mitteln für Betriebskosten zunehmend Investitionskosten gedeckt würden, weil das Land seinen Verpflichtungen für Investitionen in Krankenhäuser nicht nachkomme, kritisierte Angela Hauser, Personalratsvorsitzende der Uniklinik Tübingen, in der für 2016 rund 28, für 2017 rund 31 Millionen Euro aus Betriebsmitteln dafür verwendet würden. Unterfinanzierung versuche man durch weniger Personal auszugleichen, was aber weniger Leistung bedeute.

Dies unterstrich Yvonne Baumann von der Gewerkschaft Verdi am letzten Standort der Kundgebung, dem Krankenhaus, und nannte die Landkreise Reutlingen und Tübingen als Beleg, "dass es auch möglich ist, mit mehreren Häusern gute Zahlen hinzubekommen". Beispiel dafür, dass ein Zentralklinikum das Defizit erhöhe, sei der Rems-Murr-Kreis.

Baumann berichtete, dass das Pflegepersonal oft über die Grenze der Belastbarkeit arbeite, Überstunden sich aufstauten und nicht ausbezahlt würden. Daher seien für viele Pflegekräfte nicht die Bezahlung und die medizinischen Möglichkeiten eines Krankenhauses ausschlaggebend für die Arbeitsplatzwahl, sondern gute Arbeitsbedingungen, Zeit für Patienten und planbare Freizeit. Damit widersprach sie dem Argument Michael Bitzers, nur für ein medizinisch optimales Zentralklinikum sei noch gutes Personal zu gewinnen.

Menschenkette zeigt Geschlossenheit

Die zweistündige Kundgebung endete mit einem Gedicht Wolfgang Raichles über seine Eindrücke von der Präsentation der beiden Krankenhausgutachten – und einer Menschenkette rund um den Einfahrtsbereich der Klinik: "Kein Aus für unser Krankenhaus", skandierten die Teilnehmer und unterstrichen so die Forderungen der BI, die Kasik formuliert hatte: "Umsetzung der Zwei-Standorte-Lösung, dauerhafter Verbleib der ansässigen Disziplinen und deren Optimierung, auch durch einen Erweiterungsbau in Albstadt, kein Zentralklinikum in Balingen oder auf der Grünen Wiese, keine weiteren Fakten schaffen und absoluter Stopp der Verlagerung strukturrelevanter Institutionen aus dem Oberen Bezirk."