Denkanstifter, Kopfbilder-Maler, fragender Erzähler: Patrick Roth vor der Christusbilder-Ausstellung im Kunstmuseum Foto: Eyrich Foto: Schwarzwälder-Bote

Literaturtage: Patrick Roth und die Verschmelzung von Literatur mit dem Raum / Doppelter Gewinn

Vor der perfekten Kulisse der Ausstellung "Menschensohn – Ecce Homo – Crucifixus" hat Patrick Roth mit der Lesung aus seiner "Christus Trilogie" biblischen Bildern neue Inhalte gegeben: Es war ein stimmiger Abend im Kunstmuseum.

Albstadt-Ebingen. "Die biblischen Bilder sind abgenutzt", meint Patrick Roth. Binnen zehn Jahren sei "wirklich alles den Bach runter gegangen". Wo früher in seiner Wahlheimat Los Angeles die Armenier vor den Cafés saßen und erzählten, sei die Erzählkultur um 1996/’97 verschwunden: Dauernd klingele ein Mobiltelefon.

Doch Roth hat Hoffnung, auch junge Menschen wieder für die biblischen Geschichten – Verbindung zu den eigenen Wurzeln – zu gewinnen, wenn "der Plot spannend ist". In seiner Christusnovelle "Riverside", in der Seelenrede "Johnny Shines oder Die Wiedererweckung der Toten" und in "Corpus Christi", allesamt aus den 1990er-Jahren, erzählt der gebürtige Freiburger, was nicht in der Bibel steht, aber zu ihr hinführt. Als die drei Werke 2017, zur "Christus Trilogie" gebündelt und von der Heidelberger Literatur-Professorin Michaela Kopp-Marx geistreich kommentiert, neu herausgegeben wurden, schien dies Veronika Mertens der perfekte Stoff für den gemeinsamen Beitrag des Kunstmuseums Albstadt und der evangelischen Gesamtkirchengemeinde Ebingen zu den Literaturtagen zu sein.

Wie recht die Direktorin hatte, zeigte der voll besetzte Saal im Kunstmuseum vor der Kulisse der Ausstellung mit Christusbildern im 20. und 21. Jahrhundert – für Roth ein Bauplatz, um seine Brücken zu bauen zu den Urtexten.

Ebenso wie "Corpus Christi" mit seinen "gewaltigen Szenen" spielt Riverside zur Zeit, da das irdische Dasein Jesu seinem Ende und damit seinem Höhepunkt entgegen geht. Doch Roth erzählt nicht, was in Jerusalem passiert, sondern von Diastasimos, den Jesus auf dem Weg dorthin in jener Höhle trifft, in der dieser Aussätzige lebt. Das tut Roth in einer wohltuend altmodischen und bildgewaltigen Sprache, die er beim Vorlesen – das Mann ist nicht nur Schriftsteller, sondern auch Drehbuchautor, Regisseur und Schauspieler; man merkt’s – zum Leben erweckt: so sehr, dass die gebannt lauschenden Zuhörer mitfühlen mit Diastasimos. Der war nach Jerusalem gekommen, um im Tempel zu opfern und geheilt zu werden – unter Todesangst, als Aussätziger gesteinigt zu werden.

Roth lässt sich von biblischen Bildern inspirieren, schwenkt seine Kopfkino-Kamera dann aber herum, zum Rand des Geschehens, wie einst der japanische Regisseur Akira Kurosawa. Das erlaubt dem Autor, auch Bezüge zur Lebenswelt seiner Leser herzustellen.

Die von Johnny Shines waren die kleinen Orte in der Mojave-Wüste im Westen der USA. Der Mann in Roths Kopf ist diesmal einer, der Legenden-Status dadurch erreicht habe, dass er unerwartet bei Beerdigungen aufgetaucht sei, mit dem Brecheisen Särge aufgebrochen und den Toten befohlen habe: "Steh auf!" Wie einst Jesus, von ihm sein Vater, ein Prediger, immer erzählt hatte.

Was Roth aus der Geschichte macht, ist "ein apokryphes Kindheitsevangelium Jesu, in dem dieser als Zwölfjähriger in der Löwengrube Judas begegnet – dem, der ihn verraten sollte. Doch was wäre ohne diesen Verrat gewesen, letztlich Basis der Auferstehung Jesu? Patrick Roth ermutigt seine Leser, darüber mal ebenso nachzudenken wie über die Bilder dieses zu Tode gequälten Menschen, den heute keiner mehr sehe, wenn er ein Cruzifix anschaue.

Die aktuelle Sonderausstellung im Kunstmuseum anzuschauen, lohnt indes doppelt nach der Lektüre von Patrick Roths Werk, ebenso wie diese selbst. Der Autor begleitet seine Leser auf der Suche nach der Antwort auf die "Grundfrage des Lebens: Bist Du auf ein Unendliches bezogen oder nicht?". Denn das nur dem Ich dienende Leben sei lediglich eines: sinnlos.