Johanna Lorch, Peter Thaddäus Lang, Friedrich Rau, Rainer Linder und Udo Hollauer treffen sich am Haus Grüngrabenstraße 64, um in die Zukunft zu blicken. Fotos: Eyrich Foto: Schwarzwälder-Bote

Hat das alte Bürgerhaus in der Grüngrabenstraße Zukunft und wie soll die Stadt das Verkehrs- und Parkproblem darum herum lösen?

Von Karina Eyrich

Albstadt-Ebingen. Der Antrag auf Abbruch ist bereits gestellt: Das Haus in der Grüngrabenstraße 64 soll einem Parkhaus Platz machen. Vor Ort treffen sich Befürworter und Gegner dieser Pläne. Alle aber eint der Wunsch, das Verkehrsproblem im "Hufeisen" zu lösen.

"Die Wirtschaftlichkeitsberechnung ist negativ", sagt Udo Hollauer über das Haus in der Grüngrabenstraße 64 mit Blick auf die Mieteinnahmen. Der Baubürgermeister der Stadt Albstadt führt ein Gutachten ins Feld, das seit Juni vorliegt und in dessen Zuge die Stadt den Antrag auf Abbruch gestellt habe. Sie will "die Kreuzungssituation entschärfen", wie Hollauer sagt. Und auf dem Platz dahinter ein zweigeschossiges Parkdeck bauen – mit der Option, es später noch aufzustocken. "Dabei stellt sich die Frage: will man eine Zufahrt von der Langwatte her oder nicht" – eine Zufahrt zum Landgraben und damit zur Innenstadt. Hollauer betont: "Übersichtlicher kann man die Kreuzung" – Landgraben, Grüngrabenstraße, Schütte – "gestalten, wenn das Haus nicht mehr da ist."

Für Friedrich Rau, einen entschiedenen Gegner der Abrisspläne, geht es freilich nicht nur um die Frage "erhalten oder nicht?", sondern grundsätzlich um die Frage nach dem Verkehr in der Innenstadt. Der Architekt, der zusammen mit seiner Tochter Josefa derzeit eines der ältesten Häuser der Stadt, das "Hofele"-Haus, saniert, lebt selbst im "Hufeisen", dem alten Ebinger Innenstadtbezirk, und befürwortet mit Nachdruck verdichtete Bebauung in Innenstädten. "Wir wissen längst, dass wir unsere Städte nicht am Verkehr ausrichten dürfen." Johanna Lorch pflichtet ihm bei: "Sonst könnten wir ja auch Autobahnen bauen. Wer in der Innenstadt wohnt, der muss solche alten Strukturen auch in Kauf nehmen."

Die junge Mutter, wissenschaftliche Mitarbeiterin der Albstädter Museen und derzeit in Elternzeit, ist bewusst ins "Hufeisen" gezogen und hat zusammen mit ihrem Mann eines der ältesten Häuschen im Unteren Stadtgraben renoviert. Häuser wie die "64" machen für sie "den Charme der Stadt aus".

"In Albstadt gibt es nicht mehr viele davon"

Peter Thaddäus Lang geht es außerdem um die Geschichte, die solche Häuser erzählen. "In Albstadt gibt es nicht mehr viele davon", weiß der langjährige Stadtarchivar und promovierte Historiker. "Bei Stadtführungen musste ich allzu oft sagen: ›Hier stand einmal...‹!" Das Bewusstsein für solche historischen Häuser jedoch sei "in der Bevölkerung nicht vorhanden", bedauert Friedrich Rau. Wenngleich die "64" aus allen Richtungen den Blick auf sich ziehe. Seine "verzweifelte Forderung" an die Stadt lautet deshalb: "Der Verkehr muss raus. Wenn man das Viertel vom Verkehr frei macht, ist das Haus kein Problem mehr."

Rainer Linder, der lange Stadtrat war und mit seiner Sanitärbau- und Heizungsbau-Firma Anlieger im "Hufeisen" ist, kennt das Verkehrschaos und dessen Ursache: das Bedürfnis vieler, so nah wie möglich an Geschäfte und Lokale in der Innenstadt heran zu fahren. "Morgens kommen Schülerbusse, dann herrscht Chaos. Und manchmal kommen sogar Lastwagen mit Hänger", weiß Linder.

Einig – und das kommt nicht alle Tage vor – sind sich er, Udo Hollauer, Friedrich Rau und Peter Thaddäus Lang, dass der Wochenmarkt in die Markstraße verlegt werden sollte. "Da gehört er schon lange hin – dann wäre am Samstag der Spitalhof für die Marktbesucher frei", sagt Linder mit Blick auf die dortigen Parkplätze, und Rau fügt angesichts der Verteilung der Stände über mehrere Straßen hinzu: "Momentan wird der Markt zerfranst." Auch früher sei der Markt in der Marktstraße gewesen, berichtet Lang, der von vier Märkten im Jahr weiß, ehe nach dem Zweiten Weltkrieg auch der Wochenmarkt eingerichtet worden sei.

Warum nicht in die Untere Vorstadt?

Udo Hollauer geht noch weiter, kann sich auch eine Verlegung in die Untere Vorstadt vorstellen, wo die Beschicker des Jahrmarktes "hervorragend zufrieden" seien, wie Linder sagt. Dass er in der Innenstadt bleiben muss, stellt keiner der Disputanten in Frage: "Ein Markt gehört zur Wohnqualität", sagt Johanna Lorch. "Eine Stadt ohne Markt – das geht nicht."

Ohne Auto-Karawanen allerdings schon: "Eigentlich sollte das Hufeisen nur noch für Anwohnerparken geöffnet werden", sagt Udo Hollauer. "Dann besäße das Wohnviertel immens mehr Lebens- und Wohnqualität. Der Parksuchverkehr hat nichts darin verloren."

Bei Johanna Lorch rennt er damit offene Türen ein: "26 Euro für das ganze Jahr kostet ein Anwohner-Parkausweis", betont die junge Mutter, deren Hoffnung es ist, dass auf diesem Weg auch das Problem des wilden Parkens gelöst werden könnte. "Im Unteren Stadtgraben parken abends sogar Lieferwagen, und wir Bewohner können nicht einmal zum Be- und Entladen halten. Außerdem müssen ja Feuerwehr- und Rettungsfahrzeuge durchkommen." Soweit die Einigkeit aller.

Beim Thema "64" gehen die Meinungen freilich diametral auseinander. "Das ganze Haus ist erhaltenswert", betont Friedrich Rau. "Das Dach und die Bausubstanz sind hervorragend in Ordnung. Es besitzt einen fantastisch rationalen italienischen Grundriss, und die einzigen Schäden sind durch Nichterhaltung entstanden", lautet seine Diagnose im Hinblick auf die ramponierte Fassade. "Das Haus hat Charme und Potenzial", meint auch Johanna Lorch. "Es leidet, weil es nicht hergerichtet wird."

Friedrich Raus Lösungsvorschlag, um die "64" zu retten, ist einfach: Er würde die Straße zwischen Langwatte und Landgraben schließen, so dass Verkehr nur noch über die Schütte und die Grüngrabenstraße Richtung Hufeisen rollen könnte, und damit die Kreuzung am Landgraben entschärfen. Der Linksabbieger von der Langwatte könne bleiben – allerdings nur als Zubringer zur Parkfläche mit dem geplanten Parkdeck.

Außerdem plädiert der Architekt dafür, den Verkehr von den Wohngebieten oberhalb des Krankenhauses am Alb-Center vorbei über die Friedrichstraße, die Gartenstraße, die August-Sauter-Straße und die Poststraße bis zum Kreisel zwischen Karlsbrücke und Tunnel zu lenken. "Damit wäre der Verkehrsknoten rund um den Tunneleingang erheblich entlastet und das Problem entschärft."

Von Karina Eyrich

So, wie es dasteht, darf das Haus in der Grüngrabenstraße 64 nicht stehen bleiben mit seiner kaputten Fassade. Für seine Zukunft gibt es zwei Alternativen: Abriss und Nutzung des Platzes für ein Parkhaus und zur Neuregelung eines des unübersichtlichsten Verkehrsknotenpunkte Albstadts – oder Sanierung. Wer für Ersteres plädiert, sollte eines bedenken: Die Stadt hat das Haus vor Jahren erworben und nichts investiert, obwohl die Bausubstanz gut ist und eine energetische Sanierung samt neuem Putz es wieder zum gut bewohnbaren Schmuckstück machen könnten. Salamitaktik nennt man das: Erst lässt man etwas so weit runterkommen, dass alle den Abriss fordern. Dann erfüllt man ihnen den Wunsch. Und damit sich selbst. "Eigentum verpflichtet", mahnt die Stadt stets, wenn es um Brachen geht. Das gilt auch für sie selbst.