Ein Hochzeitskleid in einer Papierschnipselwolke, CDs als Westenbehang und aztekische Impressionen mit Stacheln zeigen diese Bilder – dazu Künstlerin Sylvia Reiser (rechts) bei ihrer Performance. Foto: Schwarzwälder-Bote

Das Event "Art & Fashion" der Recycling-Firma Korn war ein Risiko – und zwar eines, das sich gelohnt hat

Von Martin Kistner

Albstadt-Ebingen. "Art & Fashion by Korn" – ein Recycling-Unternehmen lädt Kunst und Mode, zwei fürs Schöne schlechthin zuständigen Institutionen, in eine Halle, in der werktags das Unansehnliche, Unästhetische, Amorphe zu Hause ist. Kann das gut gehen?

Es ist in der Tat nicht ganz risikolos, sich mit "Art" und "Fashion" einzulassen – das dürfte Firmenchef Alexander Korn spätestens gemerkt haben, als er die Honneurs machte: Die jungen Modeschöpferinnen von Modefachschule Sigmaringen, die er für den Freitagabend und die zwei folgenden Tage engagiert hatte, sie hatten ihn in eine Art Phantasieuniform gesteckt, deren goldene Tressen reizvoll mit der schwarzen Plastikfolie kontrastierten, aus der seine Weste geschneidert war – alles aus dem Abfall geklaubt. Auf den Rücken packten sie ihm ein Gebilde, das man als Mondsichel oder als Stierhornattrappe interpretieren konnte. Wer so vor die prominentesten Vertreter von Gesellschaft, Wirtschaft und Politik in Albstadt und dem Landkreis tritt, braucht Courage und Gottvertrauen.

Die hat Korn offenbar. Die Idee, bei Modeschülerinnen und -schülern Kreationen aus Recycling-Materialien in Auftrag zu geben, ist zwar nicht neu; es gibt nichts, was man nicht schon auf den Laufstegen der Welt gesehen hat – aber in Albstadt gab es Vergleichbares noch nicht, schon gar nicht in Halle vier der Firma Korn. Und sucht sich die Kunst, bei Korn vertreten durch Arbeiten der Bildhauerin Sylvia Reiser aus Sigmaringendorf, nicht auch lieber andere Tempel als eine Recycling-Sortieranlage? Von ihrem bürgerlichen Publikum ganz zu schweigen: Chanel-Parfum und der hartnäckige Stallgeruch des Recylings – passt das, kann das funktionieren?

Es kann – und das lag nicht zuletzt am Schauplatz selbst: Korns Sortieranlage ist sogar dann ein ästhetisches Erlebnis, wenn sie läuft und nicht rot, blau und grün illuminiert wird – am Freitag gab sie eine eindrucksvolle Kulisse für "Art & Fashion" ab. Mit der Kunst und Mode übrigens unterschiedlich umgingen: Sylvia Reisers filigrane, 24-karätig vergoldete Skulpturen sind der denkbar stärkste Kontrast zu dieser Umgebung, den man sich vorstellen kann, desgleichen die Performance, in der sie ihre Weltsicht vorstellte: Die "Goldmarie", wie man sie – so berichtet Reiser selbst – in Sigmaringendorf nennt, liebt es ätherisch, kosmisch, kostbar. Ihre Werke sind Preziosen; das "objet trouvé" sucht man in ihnen vergeblich.

Ganz anders die Sigmaringer Mode: Gold gab es da auch – aber außerdem auch alle anderen Schätze, die das haus Korn zu bieten hat: CD-Scheibchen, Kronkorken, Kunststoffgranulat, -gewebe und -netze, Nägel, Ketten – besonders die Herren Designer lieben sie – Metallbeschläge, Gardinenstoff, Textilabfall und jede Menge Folie, silbrige, transparente und vor allem schwarze. Es mag an diesen Materialien gelegen haben, dass vieles recht gruftig geriet – aber womöglich kam der Auftrag den jungen Leuten ja gelegen: Was braucht es geblümte Kleidchen; Stachelrochen sind auch ästhetisch. Und es gab Alternativen – ein Modell erinnerte auffällig an Coco Chanel.

Am Ende kamen selbst die auf ihre Kosten, die vollkommene, unzweideutige Schönheit bevorzugen: Tenor Michael Pflumm, nicht nur in Albstadt, sondern auch an der Mailänder Scala gern gesehener Gast, bot gemeinsam mit Kollegin Katharina Göres reinen Belcanto: erst "Nessun dorma" aus Puccinis "Turandot", dann das Duett "Libiamo ne’ lieti calici" aus Verdis "Traviata" und zum Schluss "You Raise Me Up" – das Publikum, das bereits vom Trommelfeuer der Tübinger Perkussionsgruppe "Impuls" und der professionellen Unterhaltung durch "Südlich von Stuttgart" angetan gewesen war, schmolz dahin. Der Beifall wollte kein Ende nehmen.