Erika Sperber wird Bankassistentin. Ihre Lebenserfahrung ist gefragt. Foto: Ing-Diba

Immer mehr Menschen um die 50 werden Azubi. Die Betriebe, die sich trauen, machen gute Erfahrungen. Größtes Problem ist das Geld.

Nur ein Jahr lang war Erika Sperber arbeitslos. Und das mit 60 Jahren. Im Februar hatte sie Geburtstag, im April einen Ausbildungsplatz. In einer Bank fing ihr Arbeitsleben 1967 am Schalter an. 'Damals hieß es: Frauen brauchen keine Ausbildung, die bekommen eh Kinder und bleiben dann daheim.' Als ihr Sohn zur Welt kam, war sie nur kurze Zeit Vollzeitmutter, arbeitete in Teilzeit und schloss später eine Ausbildung zur praktischen Betriebswirtin ab. Sie arbeitet im Export eines Pharma-Unternehmens, später in unterschiedlichen Maschinenbau-Firmen im Marketing, Export und Vertrieb. Dann kam die Kündigung wegen Umstrukturierung. Kurz vor ihrem Festtag entdeckte sie die Stellenanzeige der Ing-Diba. 'Wir bilden auch jenseits der 50 aus', stand im ersten Satz.

Der war entscheidend - und Sperber angehende Bankassistentin. Der Ausbildungsplatz ist für sie die Eintrittskarte zurück in die Arbeitswelt. Ältere Menschen könnten den Ausbildungsmarkt retten. Schon im vergangenen Jahr blieben Tausende Ausbildungsplätze unbesetzt, weil immer mehr Jugendliche studieren und die Zahl der Schulabgänger sinkt. In diesem Jahr ist es nicht besser, Angebot und Nachfrage kommen am Ausbildungsmarkt nicht zusammen. 'Die Unternehmen konnten eine steigende Zahl von Lehrstellen nicht besetzen, und gleichzeitig haben mehr Ausbildungswillige keine Lehrstelle gefunden', sagt Professor Dr. Reinhold Weiß, Forschungsdirektor am Bundesinstitut für Berufsbildung. Die Unternehmen bemängeln häufig die Ausbildungsreife der Bewerber.

Vor 20 Jahren waren 3,4 Prozent aller Azubis zwischen 24 und 40 Jahre alt

Ältere Azubis haben die ganz bestimmt. Das scheinen die Unternehmen erkannt zu haben. 'Vermehrt machen auch ältere Menschen noch eine Ausbildung', sagt Weiß und nennt Zahlen aus seinem Institut: vor 20 Jahren waren 3,4 Prozent aller Azubis zwischen 24 und 40 Jahre alt. Heute sind es fast dreimal so viele. Seit 2007 erfasst das Bundesinstitut auch Ü-40-Azubis. In den fünf Jahren bis 2011 hat sich deren Anzahl auf fast 1000 verdoppelt. Im Vergleich zu den rund 566 000 Ausbildungsverträgen, die 2011 insgesamt abgeschlossen wurden, sind ältere Azubis nahezu bedeutungslos.

Doch es ist ein zartes Pflänzchen, das wächst und gedeiht. Aus eigenem Antrieb. 'Ältere machen eine Ausbildung nicht nur, um beruflich einzusteigen oder umzusteigen. Es geht ihnen auch um Selbstbestätigung: seht her, ich kann's!', sagt Weiß. Meistens sind das Frauen, die nach einer Familienpause zurück ins Berufsleben wollen. Die Ing-Diba bildet schon seit 2006 Senior-Azubis in einem Jahr zu Bankassistenten aus. Sie müssen den Lernstoff des ersten Ausbildungsjahrs zum Bankkaufmann bewältigen, zudem sich entweder auf Immobilienfinanzierung oder Kundendialog spezialisieren. Im aktuellen Ausbildungsjahr sind fünf Azubis in Hannover und fünf in Nürnberg in Ausbildung. Freitags ist Unterricht bei einem externen Schulungsinstitut. Am Ende der Ausbildung wird eine Prüfung vor der IHK abgelegt.

Die Initiative wurde gestartet, 'weil unsere Kunden für Beratungsgespräche auch nach Menschen mit Lebenserfahrung gefragt haben', sagt Ausbildungsleiter Dieter Doetsch. Knapp 50 Azubis 50 plus haben bisher ihre Ausbildung bei der Bank abgeschlossen, überwiegend Frauen nach der Familienpause und um die 50. Doetsch lobt sie. 'Ältere Mitarbeiter sind häufig viel gelassener und ruhiger als junge. Sie bringen Ruhe ins Team, das überträgt sich auf die jungen Heißsporne.' Ihr Nachteil sei die geringere Affinität zur Technik. Die Bäckereikette K+U, eine Edeka-Tochter, bildet ebenfalls Senior-Azubis aus.

Es fehlen Auszubildende

Die sonst übliche Ausbildungszeit für Bäckereifachverkäufer wurde von drei auf zwei Jahre verkürzt, 'weil man bei reiferen Menschen nicht bei Adam und Eva in der Berufsschule anfangen muss - sie bringen bereits Fertigkeiten und Kenntnisse aus ihren vorangegangenen Tätigkeiten mit', sagt Corinna Krefft-Ebner, Ausbildungsleiterin der Bäckereikette. 'Uns gelingt es kaum noch, die Hälfte unserer gut 160 Ausbildungsplätze zu besetzen, deshalb bilden wir ältere Menschen aus.' Die würden manches besser machen als die Jungen. 'Sie sind fleißig, ehrgeizig, zuverlässig, diszipliniert, haben ein vorbildliches Verhalten gegenüber Kunden und stellen zumeist die besten Klassen in der Berufsschule', schwärmt Krefft-Ebner. Aber sie können es sich nicht leisten, für ein Ausbildungsgehalt zu arbeiten, weil sie oft Verpflichtungen haben.

Deshalb zahlt ihnen K+U rund 1500 Euro monatlich, bezuschusst von den Arbeitsagenturen. 'Ohne Förderung können wir uns die Senior-Ausbildung nicht leisten.' In der Ing-Diba war es die Lebenserfahrung der Älteren, in der Bäckereikette sind es die rückläufigen Schülerzahlen. Der Chemiekonzern Lanxess will mit seinem Senior-Trainee-Programm Akademiker ins Berufsleben zurückholen. Die promovierte Chemikerin Aurelia Reckziegel, 47 Jahre, zwei Kinder mit sieben und acht Jahren, hat vor einem Jahr das 18 Monate dauernde Programm angefangen. Acht Jahre hat sie zwangsweise pausiert.

'Ich wollte schon nach dem ersten Kind in Teilzeit arbeiten, habe aber keine Stelle gefunden. Auch nicht, als ich mich später auf volle Stellen beworben habe.' Sie vermutet, weil sie Mutter ist. Nach all den Absagen hat sie an ihren fachlichen Fähigkeiten gezweifelt, war frustriert. Eine Freundin hat ihr von Lanxess erzählt und sie motiviert, sich zu bewerben. 'Durch die Trainee-Stelle kam ich zurück ins Berufsleben. Hier kann ich wieder unter Beweis stellen, dass ich gut in dem Job bin, den ich gerne mache.' Reckziegel arbeitet in der Forschung und hat es bereits zur Laborleiterin gebracht. Das Lanxess-Programm ist ein Pilotprojekt, an dem 13 Frauen und ein Mann teilnehmen. Im Frühjahr dieses Jahres wird es ausgewertet. Dann wird entschieden, ob es wiederholt wird.