Franziska Kötz vor der Hochschule Foto: Lichtgut/Max Kovalenko

Die Schauspielschule Stuttgart feiert ihren 75. Geburtstag. Franziska Kötz, die die Schauspielschule seit zehn Jahren leitet, wünscht sich von den Studenten mehr Mut, in Fettnäpfchen zu treten.

Stuttgart - 1942, mitten im Zweiten Weltkrieg, wurde die Schauspielabteilung der Staatlichen Hochschule für Musik und Darstellende Kunst Stuttgart gegründet. Wie die Situation für Studierende heute aussieht und warum Oscar Wilde nicht immer recht hat, sagt die Studiengangsleiterin Franziska Kötz im Interview.

Frau Kötz, die Schauspielschule feiert 75. Geburtstag. Das heißt, sie wurde mitten im Zweiten Weltkrieg gegründet. Wollten die Nazis parteikonformen Bühnennachwuchs ausbilden?
Das wüssten wir auch gerne. Die Faktenlage in den Archiven ist eher mau. Wir haben mit Historikern und Theaterwissenschaftlern gesprochen, doch es fand sich leider noch niemand, der sich des Themas wissenschaftlich annehmen wollte. Die künstlerische Auseinandersetzung läuft.
Inwiefern?
Wir haben mit einem Rechercheprojekt zu Stuttgarter Darstellern am 7. Oktober Premiere im Wilhelma Theater. Die Schauspielschul-Produktion ist eine Zusammenarbeit mit dem Autor und Dramaturgen Christian Schönfelder vom Jungen Ensemble Stuttgart (Jes) und dem norwegischen Regisseur Kjell Moberg, Gründer der Gruppe NIE. Die hat im Jes tolle Arbeiten auch zu historischen Themen gezeigt.
Das Jes ist ein Kinder- und Jugendtheater. Lange Zeit haben Professoren ihren Studenten geraten, geht ja nicht an ein Kindertheater, da kommt ihr nie mehr raus!
Und das hat sich gründlich geändert. Das Jes leistet wunderbare Arbeit.
Angesichts schließender Theater und gekürzter Budgets: Müssen Sie die Studenten auch darauf vorbereiten, später in Krisenmanagementkursen für Führungskräfte Schauspielunterricht zu geben?
Unsere Schule hat eine stolze Vermittlungsquote. Jährlich gehen mindestens sieben von acht Absolventen in ein festes Engagement. Aber tatsächlich verändert sich das Interesse der Studenten. Manche möchten sich gleich in der freien Szene ausprobieren. Sie sind zunehmend auch an Theaterformen wie Performances und Stückentwicklungen interessiert. Das Bedürfnis, sich als künstlerische Person unmittelbar auszudrücken, wächst.
Das Interesse an Formen des scheinbar Authentischen hat aber nichts damit zu tun, dass sie sich vor Körpertraining und Sprechunterricht drücken wollen?
(lacht) Nein. Wir bleiben davon überzeugt, dass die souveräne Beherrschung des schauspielerischen Handwerks Voraussetzung für jede Darstellung ist. Wir vermitteln den Studierenden verschiedenste Ausdrucksmöglichkeiten, von der künstlerischen Praxis über die Sprecherziehung, von der schauspielerischen Körperarbeit bis zur Theorie. Wir müssen die Schauspieler so ausbilden, dass sie auch dann klarkommen, wenn der Regisseur ihnen nicht weiterhilft. Erst, wenn man das Handwerk beherrscht, kann man souverän damit umgehen und sich entscheiden, wie und wofür man es einsetzen will. Gleichwohl bin ich froh, dass wir an der Hochschule bald auch performative Darstellungsformen vermitteln können.
Wie das?
Im Rahmen des Landeszentrums „Campus Gegenwart“ wird es eine Professur für Performance geben, die fächerübergreifend sowohl mit den musikalischen als auch mit den darstellenden Studiengängen zusammenarbeiten wird. Auch Gegenwartsästhetik wird dort gelehrt werden.
Allerdings ist die finanzielle Situation freier Gruppen oft prekär. Lehren Sie das die Studierenden auch?
Natürlich ist das ein Thema. Wie kann ich wo Geld für meine Truppe beantragen? Wie gehe ich mit einer Durststrecke um, ohne gleich eine Sinnkrise zu bekommen? – Solche Fragen sind Teil des Unterrichts.
Im aktuellen Hochschulmagazin „Spektrum“ zitieren Sie Oscar Wilde: Was zählt, sei nicht vermittelbar. Was ist nicht vermittelbar?
Ich widerspreche Herrn Wilde, indem ich sage, dass das, was meiner Erfahrung nach zählt – nämlich, eine Haltung zu dem zu entwickeln, was man auf der Bühne tut – sehr wohl vermittelbar ist.

Von der Mindestgage kann man kaum leben

Was meinen Sie damit?
Es geht nicht darum, ein Werturteil über eine Figur abzugeben, sondern darum, sich für die Beweggründe einer Figur zu interessieren. „Talent ist Interesse“, sagt Brecht. Es geht darum, Gedanken, Gefühle, Vorgänge an sich heranzulassen, die einem möglicherweise sehr fremd sind, ohne die eigene Haltung dabei aufzugeben.
Das Internet macht Wissen oberflächlich zumindest schnell verfügbar. Zudem sind die Selbstdarstellungsmöglichkeiten dank sozialer Medien gewachsen. Hat das Auswirkungen auf die Studierenden?
Was ich immer häufiger erlebe, ist die Angst, sich überhaupt zu entscheiden. Und dann auch noch dazu stehen zu müssen. Das Risiko einzugehen, auch mal in einem Fettnapf zu versinken, erfordert Mut. Aufgrund der sozialen Medien will jeder ‚gut rüberkommen’, sympathisch wirken. Weniger ausgeprägt ist der Schritt davor, nämlich sich zu fragen und dann bewusst zu entscheiden: welche Wirkung möchte ich wodurch und warum und wofür erzielen?
Im „Spektrum“ finden sich in Kurzitaten von Studierenden Wünsche nach einem erfüllenden Privatleben. Ganz schön brav. Klingt eher nach einem beschaulichen Beamtendasein als nach einer Künstlerexistenz.
Ich bin an Theatern sozialisiert, an denen Menschen arbeiteten, die all die Mitbestimmungs- und Demokratisierungsbemühungen der 68er mitgemacht haben. Die sind weitgehend gescheitert. Mitbestimmung ist in künstlerischen Prozessen nicht immer der Königsweg. Dennoch finde ich es notwendig, dass die Jungen sich zusammenschließen und für ihre Rechte streiten. Von der tariflich festgelegten Mindestgage von 1850 Euro brutto kann man kaum leben, wenn man in einer Stadt mit so horrenden Mieten wie in Stuttgart, München oder Hamburg lebt. Freizeitausgleich für Überstunden wird es am Theater wohl eher nicht geben.
Viele berühmt gewordene Schauspieler berichten, dass man ihnen an der Schauspielschule Talentlosigkeit bescheinigt hat. Wie ist das möglich? Lässt sich Talent, Charisma nicht sofort erkennen?
Ansatzweise schon, aber es lässt sich nicht absehen, was daraus wird. Wir irren uns immer! (lacht). Naja, fast immer. In der Schule haben Studierende Zeit zu wachsen, nach der Schule geht es aber erst wirklich los. Und da kann dann manchmal auch erst nach Jahren etwas mit den Künstlern geschehen, durch die Begegnung mit Kollegen, mit einem Regisseur.
Sie nehmen acht Studenten pro Jahrgang auf. Sind die Schwierigen die Besseren?
Sagen wir so: Freundlichkeit und Talent verhalten sich nicht unbedingt proportional zueinander. Hoffnungsvoll machen mich immer die Eigenwilligen, die etwas wollen. Ein Studierender, der sich auseinandersetzen will, der uns fordert, ist für uns Lehrer ein Geschenk. Ärgerlich ist nur Bequemlichkeit.
Studenten bewerben sich erst an X Schulen und verlieren dann die Lust, wenn sie sich unter 500 Konkurrenten durchgesetzt haben?
Was ich meine, ist die Trägheit der Seele. Wenn ein Schauspieler schon am ersten Tag meint, alles zu wissen, wenn er zu schnell zufrieden ist. Dabei bietet der Beruf etwas Einmaliges: die Chance, Dinge zu erleben, zu fühlen, zu denken, die man im Leben so noch nie erlebt, gefühlt, gedacht hat. Wenn solch ein Student dann aber beginnt, sich in Frage zu stellen, wenn er eine Krise durchlebt und durchsteht – das verändert alles, dann wird alles möglich.

Franziska Kötz, die Schauspielschule und das Geburtstagsprogramm

Franziska Kötz, 1963
in Hamburg geboren, leitet seit 2007 die Schauspielabteilung der Staatlichen Hochschule für Musik und Darstellende Kunst Stuttgart.

1942 wurde die Stuttgarter Schauspielabteilung gegründet. Bereits 1897 hatte eine Schauspielschule existiert, sie wurde aber nach einigen Jahren wieder eingestellt.

1980 kamen der damalige Stuttgarter Schauspielschuldirektor Felix Müller und der damalige Generalintendant der Württembergischen Staatstheater, Hans Peter Doll, auf die Idee, alle staatlichen deutschsprachigen Schulen sollten sich einmal jährlich treffen. Zum 75-Jahr-Jubiläum der Schule findet das Treffen in Stuttgart statt. Vom 25. Juni bis zum 1. Juli zeigen die Studierenden aus Deutschland, Österreich und der Schweiz im Theaterhaus aktuelle Produktionen, allerdings nur für Fachpublikum. Die Stuttgarter Produktion, Fassbinders „Katzelmacher“, ist schon im Repertoire des Schauspiels Stuttgart und zum letzten Mal am 19. Juli im Nord zu sehen. Die Vorstellung ist ausverkauft, es gibt Restkarten an der Abendkasse.