Szene aus „Die Schwestern Macaluso“ Foto: Theater

Zwei Wochen bot das 12. Stuttgart Europa Theater Treffen in der Federführung des Theaters tri-bühne Einblicke in die europäische Theaterarbeit. Vor allem Frauen präsentierten ihre Positionen zu Themen der Zeit – Stargast aber war ein Mann: Dario Fo.

Familien, aufgestellt

Alle schon tot hier? Alle in Schwarz, keiner ein Geschlecht, hinter ihnen das Kruzifix mit Corpus. Ihnen voran eine Tanzende. Elegant ihre Pirouetten, ausufernd die Bewegungen, ein Bild vom Fluss des Lebens. Die kleine Formation quert die Bühne, frontal, diagonal, und immer wieder strauchelt jemand. Hohngelächter, schrille Pfiffe, die in den Ohren gellen, obszöne Griffe.

Die schwarzen Hosen fallen, Mädchenkleider entfalten sich, Farbe kommt ins Spiel. Emma Dante aus Palermo, in Italien das „Wunder der Theaterszene“ genannt, ließ am Wochenende ihre Compagnia Sud Costa Occidentale Familienaufstellung spielen. Derb, schmerzhaft, zärtlich.

„Die Schwestern Macaluso“ (Titel und Text von Emma Dante), viel zu früh mutterlos geworden, greifen zurück in die Kindheit. Seelische Verletzungen, heftiges Gekränktsein, die wiederkehrende Frage nach der Schuld, wenn Unglück passierte. Böses Lachen, zärtliches Verzeihen, nicht überwundener Hass. Was in den Schwestern ist, hat gewuchert über den Tod hinaus und muss jetzt raus. Sofort. Hier auf dieser Bühne.

Und dann schwebt die barfüßige Mutter auf die Bühne. EineBlüte im Haar, purpur die Lippen, ein bleicher Engel im seidenen Kleid. Eine Trösterin, die ruft: „Ihr sollt lachen, tanzen.“ Und ihr Mann, er kann sein Glück nicht fassen. Wie lange schon hat er sie schmerzhaft vermisst. „Scheißesammler“ hat ihn seine Tochter Katia beschimpft.

Ja, mit verstopften Aborten hat er als Alleinerziehender das Geld für die sieben Kinder verdient. Erpresst hat man ihn, das Gesicht in Scheiße gedrückt, und schon führt er Familie und Publikum die ekelerregende, demütigende Szene vor. Und Katia, der ewig Renitenten, entgleisen die Gesichtszüge vor Scham. Atemberaubend die Pirouetten, die das Elternpaar jetzt dreht. Ergreifend, wie die beiden sich lieben, so leicht, so zärtlich, so wild auch. Und wie Frau und Mann beim Tanz verschmelzen, bis sie wieder eins sind. Und wie die Tränen in den Zuschauerreihen fließen – ein so starkes physisches, emotionales Theater bringt Herzen und Hirne durcheinander.

Worttheater, das schmerzt

Am gleichen Abend dann noch „Glückliche Tage“ von Samuel Beckett. Die bitterböse und manchmal auch bittersüße Geschichte von Winnie und Willie, eine wortintensive Inszenierung von Kriszta Székely in ungarischer Sprache mit deutschen Übertiteln. Nóra Patricia Kovács hat die Bühne gebaut, zwei kubistische Sandburgen. Griechische Musik stimmt ein, Agi Szirtes spielt Winnie, steckt bis zur Hüfte im Sand, ist gefangen in ihrem banalen Alltag, ihrer verdorrten Liebe zu Winnie (Zoltán Bezerédi). Ein schwieriger Monolog, ein seelischer Balanceakt für eine Frau, die scheinbar alles verzeiht, sich mit jeglichem Kompromiss zufrieden gibt, die sich auch dann noch aufopfert, als sie nur noch den Kopf aus der Sandburg stecken kann. Agi Szirtes zelebriert den Selbstbetrug ihrer Figur mit feinsten Nuancen in Mimik und Gestik. Die Sehnsucht nach dem Glück, sagt Beckett, scheint unausrottbar.

Was bleibt, was kommt

Was bleibt, sind beglückende Theatermomente, Erfahrungen durch europäische Produktionen mit Theaterformen, die in ihrer aufwühlenden Intensität Seltenheit haben. Theater kann Magie sein. Edith Koerber, Intendantin der tri-bühne, sagt: „Wir sind alle glücklich, dass wir Theater von kämpferischen Frauen wie der Algerierin Rayhana erlebt haben. Jetzt schauen wir nach vorn. Das 13. Stuttgarter Europa Theater Treffen im Jahr 2016 kann kommen.“ Wem die Zeit bis dahin zu lang erscheint: Serena Sinigaglia aus Mailand wird auch in der Spielzeit 2015 an die tri-bühne nach Stuttgart kommen.