Bollywood und Beyond: Klicken Sie sich durch ein paar Eindrücke vom diesjährigen Programm auf dem Indischen Filmfestival in Stuttgart. Foto: Festival

Mit seinen Traditionen, Riten und Mentalitäten schien Indien weit weg zu sein– bis das Indische Filmfestival anfing, es Stuttgart ein Stück näherzubringen. Festivalleiter Oliver Mahn zieht nach zehn Jahren Bilanz.

Stuttgart - Mit seinen Traditionen, Riten und Mentalitäten schien Indien weit weg zu sein– bis das Indische Filmfestival anfing, es Stuttgart ein Stück näherzubringen. Festivalleiter Oliver Mahn zieht nach zehn Jahren Bilanz.


Herr Mahn, wo steht das Festival?
Das Publikum hat es angenommen, wir sind in Indien gut vernetzt und gut aufgestellt. In Stuttgart sind wir das einzige größere Spielfilmfestival, und so gut wir hier auch mit digitalen Inhalten und Animation (VFX) sein mögen: Wenn es gar keinen Spielfilm mehr gäbe, ginge etwas verloren. Natürlich können wir nicht mit Berlin oder München konkurrieren, aber darum geht es nicht. Wir entwickeln unser eigenes Profil, nicht in Abgrenzung zu anderen und schon gar nicht negativ.

Der frühere OB Wolfgang Schuster hat vom größten indischen Filmfestival außerhalb Indiens geträumt . . .
Um das zu erreichen, müsste man große Produzenten, Regisseure, Schauspieler einladen. Das kostet Geld, denn diese Leute sind fünf Sterne gewohnt, das wird hier von vielen falsch eingeschätzt. Dann hätten wir eine andere Position in Konkurrenz zu anderen Festivals, an die wir momentan immer wieder auch Filme verlieren.

Der indische Film hat sich verändert. Wie indisch ist er noch?
Es gibt eine Tendenz, Erzählform und Länge am Westen zu orientieren, um Filme im Ausland verkaufen zu können. Die Anmutung ist immer noch sehr indisch. Wenn in französischen Filmen gegessen wird, sieht das ja auch ganz anders aus als in deutschen.

Wo steht Indien als Land?
Es steht sich selbst im Weg – noch. Vor allem durch Korruption. Anders als China hat Indien aber ein demokratisches System, das funktionieren kann, sie müssen ihre Verfassung nur durchsetzen. Rechtssicherheit ist ein großes Thema. Wir zeigen einen Film namens „Investment“, in dem ein Mörder davonkommt, weil er Geld hat und sich den besseren Anwalt leisten kann – aber das ist in den USA ja durchaus auch möglich.

Hat sich die indische Gesellschaft verändert?
Es gibt eine Mittelschicht, die sich von unserer kaum noch unterscheidet. Die wollen kein Schmiergeld mehr bezahlen, wenn sie einen Pass brauchen, sie wünschen sich verlässliche Strukturen, ein Auskommen, eine anständige Wohnung, Nahverkehr, Müllentsorgung. Das sind 200 Millionen, wenn die sich durchsetzen, wird Indien nicht mehr zu halten sein. Sie wollen reisen, konsumieren, das sieht man in den Filmen. Deshalb ist es für Stuttgart gut, die Partnerschaft mit Mumbai zu pflegen, wie es unser Hauptsponsor, der indische Honorarkonsul Andreas Lapp, mit Leidenschaft tut. Das Filmfestival leistet einen Beitrag dazu, ebenfalls das Weindorf in Mumbai. Daimler und Bosch kennt jeder, aber daran, dass sie in Stuttgart sind, daran muss man ab und zu erinnern.

Gelten die strengen Traditionen nicht mehr in dem Maß wie früher?
Sie weichen auf. Die Single-Haushalte nehmen zu, jüngere Inder wollen selbstbestimmt leben, sie wollen keine arrangierten Ehen mehr, dafür Verbindungen zwischen Hindus und Moslems, was vor zehn Jahren fast undenkbar war. Allerdings lastet auf der Partnersuche nach wie vor starker Druck. Deshalb hat sich eine Industrie aus Vermittlungsagenturen gebildet, bei denen es viel hysterischer zugeht als hier. Das zeigt die Dokumentation „Much Ado About Knotting’“.

Veranstalter des Festivals ist das Filmbüro Baden-Württemberg, dem Sie vorstehen und das auch die Filmschau des Landes ausrichtet. Sind Sie heute reiner Festivalveranstalter?
Das Filmbüro war ursprünglich eine Interessenvertretung der Filmemacher. In den 1990er Jahren kamen dann Filmakademie, Filmförderung und Film Commission und haben viele Aufgaben übernommen. Wir sind aber nach wie vor eigenständig und eine Anlaufstelle für alle Filminteressierten. Was Festivals angeht, haben wir uns ein Knowhow erarbeitet, das sich nutzen lässt. Ehrenamtlich wäre das überhaupt nicht möglich. Daneben machen wir viel Jugendarbeit. Bei der Schulkinoreihe „Morgenflimmern“ erfahren Schüler, dass Filme von hier unterhaltsam und gehaltvoll sein können. Wir wollen Medienkompetenz fördern, ohne anstrengend zu sein. Die Vorstellungen sind übrigens für alle Interessierten zugänglich. Seit zehn Jahren gibt es First Contact, wir beraten Jugendliche in Sachen Film, helfen ihnen bei Filmen und bei Bewerbungen. Ein großer Ansporn ist der Jugendfilmpreis, den wir parallel zur Filmschau veranstalten.

Braucht ein Festival einen roten Teppich?
Er erzeugt einen zusätzlichen Kitzel, ein Gefühl von Besonderheit. Leute bleiben stehen, es gibt einen Stau, weil alle gucken, es entsteht ein Erlebnis über den Film hinaus, und die Filmemacher erfahren eine ganz andere Art der Wertschätzung. Die Inder lieben das, und bei der Filmschau, wenn der baden-württembergische Filmpreis vergeben wird, können wir ruhig zeigen, dass wir stolz sind auf unsere Filmemacher. Gäste von außerhalb sind davon oft positiv überrascht.

Die Diskussion um ein neues Kommunales Kino dauert an. Braucht Stuttgart ein Haus für Film und Medien?
Ein kulturelles Filmhaus gehört in seiner Bedeutung in eine Reihe mit der Staatsgalerie und der Stadtbibliothek. Es zeigt den Menschen, was Film sein kann, und wird immer auf öffentliche Subventionen angewiesen sein. Ob man die Filmwirtschaft einbeziehen möchte, muss man sich aus Kostengründen gut überlegen. Wenn Firmen wie Pixomondo den Filmsaal nutzen sollen, um zum Beispiel Ron Howards Formel-1-Film „Rush“ dort zu zeigen, für den sie digitale Inhalte gemacht haben, muss es repräsentativ sein. Außerdem bräuchte man eine perfekte technische Ausstattung mit 3-D und verschiedenen Soundsystemen – und fürs Archiv trotzdem einen Projektor für 35- und 16-Millimeter-Filme. Die Anforderungen an ein Filmhaus, das allen Ansprüchen gerecht wird, sind also sehr hoch.

Sie beobachten die hiesige Filmszene seit Jahren. Wieso kommen viele Filmemacher über ein Debüt kaum hinaus?
Die Ausbildung ist sehr gut, aber die Zahl der Filmemacher steigt stetig, es bewerben sich also immer mehr Filmemacher um die bestehenden öffentlichen Mittel. Man müsste also entweder die Ausbildung drosseln oder andere Finanzierungswege finden: privates Geld wie in den USA und in Indien. Dann müsste man aber am Markt produzieren, was ja nicht zwangsläufig ein Verlust an Qualität sein muss, wie oft befürchtet wird. Die Verhandlungen mit privaten Investoren sind allerdings ganz andere als mit Filmförderungen und Sendern. Dafür müsste man die Filmemacher qualifizieren.